Digitale Nomaden – die ganze Welt ist mein Büro
Jeder kennt es wohl: Manchmal schreibt sich eine Hausarbeit leichter auf dem Balkon, im Coffeeshop um die Ecke oder während einer langen Zugfahrt. Digitale Nomaden gehen noch einen Schritt weiter und erklären, dank mobilem Internet, die ganze Welt zu ihrem Arbeitsplatz. Vom Strand in Acapulco bis zum Café in Zagreb – wo auf dem Erdball der Laptop hochgefahren wird, ist theoretisch egal.
Conni Biesalski hat es versucht, das Ding mit dem „Erwachsenenjob“. Morgens ins Büro einer PR-Agentur, nach zehn Stunden am Schreibtisch wieder zurück nach Hause. Zwei Monate hielt sie durch. Dann kündigte sie. „Den ganzen Tag auf einem Bürostuhl sitzen – das macht mich wahnsinnig“, sagt die 30-Jährige.
Gut anderthalb Jahre sind seit dieser Entscheidung vergangen und Conni lebt mittlerweile eine Alternative zur Arbeitswelt aus Festvertrag, 40-Stunden-Woche und 30 Tagen Urlaub pro Jahr. Berufsbezeichnung: digitale Nomadin. Lebens- und Arbeitsmittelpunkt: der ganze Globus. Indonesien, Thailand, Mexiko, Portugal und Italien waren ihre letzten Stationen. Nur im Sommer geht’s für die gebürtige Bayerin einige Monate nach Deutschland.
Strandcafé statt Schreibtisch
Damit ist sie Teil einer recht jungen Bewegung, die die Möglichkeiten des Internets voll und ganz ausschöpft und für die das Modell eines ortsgebundenen Büros mit festgelegten Arbeitszeiten ausgedient hat. Als moderne Form des „Wanderarbeiters“ sind es vor allem freiberufliche Blogger, Fotografen, Softwareentwickler, Social Media-Experten, Web- und Grafikdesigner, die ihre Arbeit per Laptop und Smartphone zeit- und ortsunabhängig organisieren und in einen kosmopolitischen, größtenteils nicht sesshaften Lifestyle integrieren. Strandcafé statt Schreibtisch mit Familienfoto und Zimmerpflanze, Dropbox, E-Mail und Google Hangout statt Face-to-Face-Kundenkontakt.
Das Internet nutzen und die Welt entdecken – für Conni ist das digitale Nomadentum eine logische Konsequenz ihrer beiden Leidenschaften. Schon in ihrem Kinderzimmer stand ein mittlerweile museumsreifer Commodore Amiga, das Abi absolvierte sie in England, ihr Kommunikations- und Medien-Studium in Salzburg, Wien und Ohio, danach ging‘s zwei Jahre auf Reisen inklusive Arbeit als Tauchlehrerin. Heute verdient sie ihr Geld ausschließlich über digitale Kanäle. Sie übersetzt Texte ins Englische, betreut für einen Kunden die Facebook-Seite, stellt WordPress-Seiten auf, berät in Sachen Social Media und Online-PR, betreibt ihren eigenen Reiseblog und erklärt in Workshops, wie man professionell bloggt und damit Kohle verdient. Laptop, Smartphone, E-Reader, zwei Kameras – alles, was dafür vonnöten ist, passt in einen Rucksack.
Das Konzept “4-Stunden-Woche” – mehr Zeit, mehr Geld, mehr Leben
Digitaler Nomade zu sein, bedeutet jedoch nicht, einsam, allein und ohne Kollegen vor sich hin zu frickeln. Vor allem Städte wie Chiang Mai (Thailand), Ho-Chi-Minh-Stadt (Vietnam), Medellín (Kolumbien) und Berlin sind Hotspots, an denen sich die Community einfindet. Einige bleiben ein paar Wochen, andere Monate. Zum Teil lebt man in Hostels oder Wohnungen zusammen, verabredet sich über Facebook-Gruppen und arbeitet in Cafés, Coworking Spaces oder überall dort, wo die Internetverbindung schnell genug ist, gemeinschaftlich an Online-Businesses.
Um gut leben zu können, investiert Conni rund zehn Stunden pro Woche ins aktive Geldverdienen. Wie das funktionieren kann, beschreibt Autor und Unternehmer Tim Ferriss in seinem 2007 erschienen Bestseller „Die 4-Stunden-Woche“. Initialzündung der Bewegung und für viele digitale Nomanden die Bibel des ortsunabhängigen Arbeitens. Eines der Schlüsselwörter darin ist „geo-arbitrage“, also ein Land zu wählen, das währungsschwächer ist, in dem man mit seinem Euro-Einkommen weniger für Lebensmittel, Miete und Co. ausgibt, ergo weniger arbeiten muss und somit mehr Freizeit genießt. „Mir würde allerdings langweilig werden, nur vier Stunden zur arbeiten und mich dann in die Hängematte zu hauen“, meint Conni. Obwohl dies mit passivem Einkommen, z. B. Affiliate-Websites, Werbeflächen auf Webblogs oder dem Verkauf von E-Books oder Software, durchaus realistisch sei. Vielmehr gehe es jedoch um die Essenz des Ganzen: das effektive, fokussierte Arbeiten und somit die Chance, sein Pensum schneller und damit gewinnbringender als in der künstlich vorgegebenen 40-Stunden-Woche zu schaffen. Wenn Conni arbeitet, dann arbeitet Conni. Dann gehen dank SelfControl-App auch schon mal Prokrastination-Förderer wie Facebook oder E-Mail-Account einige Stunden offline. Die gewonnene freie Zeit steckt sie in Dinge, die ihr Spaß machen, ins Bereisen der Länder und in Projekte und Ideen, die noch in der Entwicklungsphase stecken.
Musts für ein glückliches Nomaden-Leben: gute Vorbereitung, weltweite Community
Natürlich gab es am Anfang auch Phasen des Zweifelns und die zerstörte Hoffnung der Eltern, die Conni habe jetzt endlich einen „richtigen“ Job. Doch die Frage „Internet? Wie kann man denn damit Geld verdienen?“ konterte sie mit guter Vorbereitung. Noch vor der Kündigung hatte sie sich einen finanziellen Puffer angespart, ihren ersten Kunden am Haken, endlos Blogs zum Thema gelesen und sich autodidaktisch und in Online-Kursen die noch fehlende Skills angeeignet. Wenn mal ein Projekt flöten geht und sich doch noch ab und zu Existenzangst einschleicht, sind es vor allem Gleichgesinnte, die Conni in ihrem Lebensweg bestätigen. Online-Communities wie der Dynamite Circle fördern den Austausch und bringen digitale Nomaden zweimal jährlich bei Konferenzen in Berlin und Bangkok auch in der nicht-virtuellen Welt zusammen.
Wenn dieser Artikel erscheint, ist Conni schon längst wieder in der Weltgeschichte unterwegs. Mexiko steht auf dem Plan. Ein Land mit richtig gutem Internet, sagt sie. Halbinsel Yukatan, Mexiko City, danach wohl ein paar Monate an die Pazifikküste. Naja, und vielleicht auch noch weiter Richtung Kolumbien und Brasilien. Wie lange sie noch so leben und arbeiten möchte? „Ich könnte mir nichts anderes mehr vorstellen“, kommt die Antwort ohne Zögern.
www.planetbackpack.de
deutschsprachige Facebook-Gruppe für digitale Nomaden: www.facebook.com/groups/415110575270140/
Blogs von digitalen Nomaden
englischsprachig
deutschsprachig
deutschsprachige Facebook-Gruppe für digitale Nomaden
Digitaler Nomade wird man nicht über Nacht. Hier findest du nützliche Vorbereitungstipps.
1.
a) Du besitzt bereits genügend Online-Skills oder arbeitest im Online-Bereich (Programmierer, Webdesigner, Grafikdesigner etc.):
- Behalte deinen Job solange, bis ein finanzieller Puffer von 5.000 bis 10.000 € angespart ist.
- Beginne, noch während du im Arbeitsverhältnis steckt, dein Freelancer-Business aufbauen (z. B. Website bauen, nach Kunden Ausschau halten).
b) Du hast einen Job, der nicht so leicht online übertragbar ist:
- Welcher neue Bereich wäre für dich interessant?
- Eigne dir die dafür nötigen Skills z. B. über Online-Kurse an.
- Bau dir eine Website.
- Spare einen finanziellen Puffer von 5.000 bis 10.000 € an.
2. Um dir eine Referenzliste zu schaffen: Mache zu Beginn ein paar Projekte gratis.
3. Beginne rechtzeitig, dir einen gewissen Kundenstamm aufzubauen. Bereite deine Kunden darauf vor, dass persönliche Meetings durch Skype-Session ersetzt werden müssen.
4. Für den emotionalen und moralischen Support: Knüpfe Kontakte! Suche dir Leute, die diesen Lebensstil schon leben (austauschen, treffen, auf Meetups gehen, Blogs lesen), vernetze dich (z. B. Mitglied im Dynamite Circle oder Founders Grid werden), starte vielleicht selbst einen Blog und dokumentiere darin deine eigenen Reisevorbereitungen und dein neues Leben als digitaler Nomade.
5. Informiere dich über Steuerangelegenheiten, Versicherungen, Visa etc.
- Schließe eine Reisekrankenversicherung, ggf. eine Langzeitkrankenversicherung ab (heimische Krankenkqassen-Mitgliedschaft auf Anwartschaft setzen).
- Suche dir einen Steuerberater.
- Informiere dich über Visumsangelegenheiten. Wie kann ich ein Touristenvisum verlängern? Welche Visaagenturen sind für das jeweilge Land zuständig?
6. Lege dir ein papierloses Büro zu.
- Digitalisiere alle wichtigen Unterlagen (TAN-Nummern fürs Banking, Steuernummer, Ausweis/Reisepass, Kredit- und EC-Karte, Impfausweis, Versicherungskarten).
- Nützliche Anwendungen:
– Dropbox, Google Drive (Cloudspeicher)
– CamScanner oder DocScanner (Scanning Apps)
– Evernote (virtuelles Notizbuch)
– Snap seed (Bildbearbeitung für Blog)
– Skyscanner (Flugbuchung)
– Currency (Währungsumrechnung)
Tripadvisor (Reiseführer)
– SelfControl (OS X-Anwendung, macht Facebook- oder E-Mail-Account für eine festgelegte unzugänglich – Arbeiten ohne Ablenkung!)
7. Den Sprung wagen und den Job kündigen. Gewerbe anmelden.
8. Land auswählen, in dem man nicht so viel zum Leben braucht.
ABFLUG!
9. Finde einen guten Arbeitsplatz (mit Meerblick….und guter Infrastruktur).
- Wifi-Cafés kannst du unter wificafespots.com recherchieren.
- Lokale Co-Working-Spaces findest du z. B. bei coworking-news.de/free-coworking-directory
- Egal wo: Fast immer wird eine starke Internetverbindung für dich wichtig sein (z. B. für Skype-Videoanrufe Downstream- und Upstreamreate von rund 300kBit/s). Im Vorfeld kann es nicht schaden einen Speedtest unter speedtest.net durchzuführen.
Kannst du dir vorstellen, zeitweise oder auch völlig als digitaler Nomade zu leben? Falls ja, hier ein paar Blogs und Tipps zur Einstimmung und Vorbereitung . Hast du schon erste Erfahrungen in Sachen Selbständigkeit oder eine bombastische Geschäftsidee, dann lohnt eine Mitgliedschaft in z. B. diesen beiden Clubs.
Dynamite Circle
Vor sechs Jahren verließ der US-Amerikaner Dan Andrews seine Heimat, gründete eine eigene Firma und baut seitdem mobile Bars in Asien. Seine Erfahrungen zu Themen wie Reisen und ortsunabhängig Arbeiten teilte er zunächst via Podcast (iTunes à Tropical MBA – Entrepreneurship, Travel and Lifestyle), später gründete er den Dynamite Circle. Der Club, mittlerweile über 700 Mitglieder stark, ist ein (virtueller) Treffpunkt für digitale Nomaden und Webworker, die ihren Traum vom „mobilen Büro“ bereits erfolgreich in die Tat umgesetzt haben. 97 US-Dollar zahlen die Mitglieder für drei Monate. Dafür gibt’s reichlich Wissensaustausch, Networking und die Chance, neue Businesspartner, Investoren und Freunde zu finden. Kontakt hält die weltweit verstreute Nomaden-Gemeinde per Telefon, Chat, Webinar oder bei den zweimal im Jahr stattfindenden Konferenzen in Berlin und Bangkok.
Founders Grid
Wie bringe ich mein Unternehmen auf internationalen Märkten schnell zum Wachsen? Wie läuft das mit den Steuern? Wie bekomme ich einen zweiten Reisepass? Wie eröffne ich im Ausland ein Bankkonto? Wie kann ich mein Unternehmen von überall auf der Welt managen? Antworten auf diese und andere so grundlegende Fragen bietet z. B. der Club Founders Grid, der rund 450 Mitglieder umfasst – darunter erfolgreiche Unternehmer, Investoren und internationale Experten (Mitgliedschaft kostet 99 US-Dollar pro Quartal). Community-Gründer ist der 27-jährige Chris Osbourne. Seit acht Jahren lebt und arbeitet der Brite ortsunabhängig in Asien.
Verwandte Artikel:
- Auslandsstudium sponsored by…
- International DOs and DON´Ts
- Aulandische Studenten in Deutschland
- Mit Erasmus+ zum Auslandspraktikum
- Auslandspraktikum: auf nach Down Under
- Studieren in der Ukraine
- Studentenstädte weltweit: PARIS , je T’aime!
- Gibt es heute noch ein Ausland?
- Raus in die Welt: mit Auslandspraktika um den Globus
- Studenten im Ausland
Digitale Nomaden – die ganze Welt ist mein Büro Jeder kennt es wohl: Manchmal schreibt sich eine Hausarbeit leichter auf dem Balkon, im Coffeeshop um die Ecke oder während einer langen Zugfahrt. Digitale Nomaden gehen noch einen Schritt weiter und erklären, dank mobilem Internet, die ganze Welt zu ihrem Arbeitsplatz. Vom Strand in Acapulco bis