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Viel mehr als weiße Kittel

Viele Absolventen haben die Pharma-Branche nicht auf dem Schirm, wenn sie sich nach spateren Arbeitgebern umsehen. Das Image der Branche erscheint, verglichen mit manchen anderen, inzwischen etwas angestaubt. Die ‚Generation Y‘ vermisst den Coolness-Faktor. Absolventen tun jedoch gut daran, diese Richtung bei der Jobsuche nicht außer Acht zu lassen. Denn Einstiegschancen und Verdienstmöglichkeiten sind gut, die Berufsbilder vielfältig und die Herausforderungen spannend. Ein Plädoyer für einen nur auf den ersten Blick uncoolen Wirtschaftszweig.

Um es vorweg zu nehmen: Der Pharma-Wirtschaft geht es gut. Verglichen mit anderen Branchen sogar sehr gut. Fragt man Studenten und Absolventen in Deutschland jedoch, in welchen Unternehmen sie später am liebsten arbeiten würden, so werden auf den vorderen Plätzen seit Jahren stets die selben Wirtschaftszweige genannt: Internet-Riesen wie Google oder Facebook, Autobauer wie Daimler, Volkswagen und Audi oder etablierte Industrie-Riesen wie Siemens oder BASF stehen besonders hoch im Kurs. Unternehmen wie Sanofi, Bayer oder Novartis schaffen es oft nicht mal in die Top Ten. Der Pharma-Sektor, so scheint es, fristet ein Mauerblümchen-Dasein, wenn es um die Aufmerksamkeit bei den Bewerbern geht. Er gilt als vergleichsweise angestaubt und schwerfällig. Merck, Pfizer, Roche – mit Unternehmensnamen wie diesen können viele Studenten, außerhalb von verwandten Studiengängen wie Medizin, Pharmazie oder Pharmakologie, oft nicht viel anfangen. Ebenso nehmen viele Wirtschaftswissenschaftler die Pharma-Branche als späteren potentiellen Arbeitgeber oftmals nicht so recht wahr. Woher kommt dieses scheinbare Desinteresse? Oder ist es möglicherweise ein rein deutsches Phänomen, wonach jeder Pharma-Mitarbeiter wie ein Apotheker ohne Laden erscheint? Ich selber hatte die Pharma-Branche auch lange Zeit nicht auf dem Schirm, bis ich eines Tages in einem Studi-Jobportal auf eine Stellenanzeige stieß. Ich bewarb mich und machte mir dennoch keine großen Illusionen über meine Chancen, die Stelle zu bekommen. Schließlich hatte ich keine betriebswirtschaftlichen Kenntnisse und als Student der Religionswissenschaften beschränkte sich mein Wissen im Bereich Pharma auf den Kauf von Kopfschmerz-Tabletten. Vorkenntnisse in der Richtung hatte ich nicht und bekam die Stelle dennoch.

VIELSEITIGER ALS GEDACHT

Im Laufe der Zeit sollte ich feststellen: Ich war nicht der einzige Quereinsteiger hier. Ein Glücksfall fur mich, denn ich lernte unglaublich viel über Wirtschaft, das Gesundheitswesen und die Zukunft. Ein Pharma-Unternehmen muss die Zukunft im Blick haben, mehr als jedes andere Unternehmen. Krebs, Aids, Ebola, Allergien – Krankheiten, über die alle Welt spricht, über deren Behandlung und Bekämpfung ich jedoch sehr wenig wusste, obwohl sie die Zukunft entscheidend prägen könnten. Eines erstaunte mich während meiner Zeit als Werkstudent immer wieder. Es war die Reaktion, die ich erntete, wenn ich auf Partys den Namen der Firma nannte, fur die ich tätig war: ‚Kenn ich nicht. Wer ist das? Was machen die? Was machst du da?‘ Worin meine Arbeit in der Unternehmenskommunikation bestand, haben meine Kommilitonen und meine Eltern bis heute nicht richtig verstanden, glaube ich. Obwohl das Thema Gesundheit uns alle betrifft, jeder irgendwann Medikamente nimmt, langweilt es doch die meisten, sich mit den wirtschaftlichen Hintergründen zu befassen oder sich für die Berufe hinter den Tablettenverpackungen und den Impfstoff-Ampullen zu interessieren. Wenigen Branchen wird allerdings so viel Wachstums- und Entwicklungspotential zugeschrieben, wie der Gesundheits- und Pharma-Wirtschaft. Wer an Pharma-Unternehmen denkt, hat meist unwillkurlich ein bestimmtes Bild im Kopf: Der Mediziner oder Chemie-Laboranten im weißen Kittel, der Impfstoffe und Pillen entwickelt. Dieses Bild ist prägend für einen der innovativsten und vielseitigsten Wirtschaftszweige überhaupt. Denn den stellt die Pharma-Branche dar, wenn sie auch das angestaubte und längst überholte Bild des Pharma-Mitarbeiters im weißen Kittel selbst zu verschulden hat. Zu viele Fernseh-Werbespots für Medikamente beginnen nach wie vor mit einem jovial lachelnden Mann in Weiß und auf der Homepage jedes Pharma-Riesen finden sich Bilder von Leuten in weißen Kitteln, die mit gewichtig-wichtigen Minen Erlenmeyer-Kolben gegen das Licht halten, sich über Laboraufzeichnungen und Reagenzglaser beugen oder einfach nur Anzug und Aktenmappe tragen. Ein recht einseitiges Bild der Branche ist bei der jungen Generation entstanden. Pharma hat für viele den Sexappeal-Faktor eines Bausparvertrages. Die Unternehmen, die auf diesem Gebiet tätig sind, scheinen wie ein in sich abgeschlossener Zirkel, kaum von außen zugänglich. Auch auf Uni- und Jobmessen findet man Pharma-Firmen kaum. Das muss verwundern.

NICHT NUR MEDIZINER

Dabei vereinen Pharma-Unternehmen im eigenen Hause die unterschiedlichsten Berufsbilder und Tätigkeitsschwerpunkte. Ein Pharma-Unternehmen braucht Pharmakologen und Mediziner ebenso wie Juristen und kreative Marketing-Köpfe, Ingenieure, Betriebswirte und Fachkräfte fur Lagerlogistik. Zudem bieten Pharma-Konzerne ein hohes Maß an Internationalitat, die überwiegende Zahl der Unternehmen ist weltweit tätig, gute Englischkenntnisse sind damit unerlasslich. Auch der Innovationsfaktor ist überdurchschnittlich, denn für die Medikamenten-Hersteller stehen große Herausforderungen an. Vor dem Hintergrund einer immer älter werdenden Gesellschaft und den weltweiten Ungleichgewichten in punkto Gesundheitsversorgung sind selbst Giganten der Branche wie Bayer, Sanofi oder Pfizer gezwungen, Ergebnisse schneller und pointierter zu liefern. Noch bis vor einigen Jahren konnte es den Medikamenten-Herstellern genügen, wenn von mehr als zehn in der Entwicklung befindlichen Stoffen einer zum Zuge kam. Heute befinden sich bei den meisten Herstellern nur noch zwei, drei Produkte oder Stoffe in der Entwicklung. Der Erfolgsdruck ist damit wesentlich höher. Wer als Pharma-Unternehmen wachsen oder überleben will, kauft daher gern andere Unternehmenssegmente von Konkurrenten dazu oder stößt Teile des eigenen Portfolios ab. Die Branche, die von außen immer noch sehr träge erscheint, ist gewaltig in Bewegung geraten.

VON DER IDEE ZUR HEILUNG

Doch der Weg zum neuen Medikament ist nach wie vor lang: Laut Verband der forschenden Pharma-Unternehmen (vfa) dauert es von der Idee bis zur Zulassung eines neuen Medikaments durchschnittlich 13,5 Jahre. Von den wenigen neu entwickelten Medikamenten, die zur Erprobung mit Menschen ausgewählt werden, schafft es nur jedes neunte bis zur Zulassung. Das beflügelt den Forschungseifer der einzelnen Firmen. Etwa 100 Milliarden US-Dollar geben die Pharma-Unternehmen jährlich für Forschung und Entwicklung aus. Von den in Deutschland produzierten Medikamenten gehen nach vfa-Angaben mittlerweile mehr als zwei Drittel in den Export. Der Heimatmarkt verliert für die Produzenten immer mehr an Bedeutung. Dabei stieg die Produktion auch im vergangenen Jahr weiter an, um fast fünf Prozent.

HERAUSFORDERUNGEN – FÄLSCHUNGEN & FACHKRÄFTE

Mittlerweile haben alle Hersteller in Deutschland auch ihre technischen Kapazitäten ausgebaut und betreiben technische Anlagen für die Lagerung, Herstellung, Verpackung und Verschickung von Medikamenten auf höchstem technischen Niveau. Neben den rauer werdenden Marktbedingungen sind die Arzneimittelfälschung, bei der Markenarzneien gefälscht und zu Dumpingpreisen auf den internationalen Markt geworfen werden – mit teilweise katastrophalen Folgen für die Patienten – und die ‚e-health‘, in deren Zuge elektronische Patientenakten oder die Fernuberwachung der Vitalwerte von Patienten denkbar werden, Themen, denen sich auch die Pharma-Branche stellen muss. Ist man darauf vorbereitet? Wie kann man sich den Herausforderungen am besten stellen? Eine Antwort: Es braucht gut geschulte Fachkräfte. Die Einstiegsmoglichkeiten sind genau so vielfaltig wie die Tätigkeitsfelder. In der Regel bilden (bezahlte) Praktika, Werkstudenten-Tatigkeiten oder auch Trainee-Stellen den Einstieg. Bewerbungen finden inzwischen ausschließlich online statt. Dabei muss der Interessent einen Account auf der Karriere-Website des Unternehmens anlegen und seine Bewerbungsunterlagen hochladen. Das ist mittlerweile Standard bei allen großen Unternehmen. Berufsberater empfehlen, die Accounts nach Moglichkeit bestehen zu lassen, auch wenn man als Bewerber schon in einem anderen Unternehmen unter gekommen ist. In gewissen Abständen sollten die Accounts sogar mit aktuellen Unterlagen gefüttert und auf den neuesten Stand gebracht werden. Mehr und mehr Firmen gehen nämlich dazu über, Bewerbern oder ehemaligen Bewerbern auch uber den Account Jobangebote zukommen zu lassen. Die Pensionierungswelle der nächsten Jahre wird auch in der Pharma-Branche zu spüren sein, obwohl man hier noch nicht von einem Fachkräftemangel sprechen will. In Deutschland zahlen die meisten Pharma-Hersteller nach den Tarifverträgen der chemischen Industrie. Mit durchschnittlich 55.000 Euro Jahresbrutto, so der Verband der Chemischen Industrie, liegen die Gehälter der Beschäftigten rund 25 Prozent über dem Durchschnitt des Verarbeitenden Gewerbes. Vergleichsweise sichere Arbeitsplätze, spannende Herausforderungen im Job und gute Verdienstmöglichkeiten – und dennoch kennen viele Studis Namen wie Pfizer, Baxter, GlaxoSmithKline, Stada oder Boehringer Ingelheim nicht. Liebe Kommilitonen, lest doch mal, was so alles auf den Tabletten-Schachteln steht. Der Name eines potentiellen Arbeitgebers könnte dabei sein….

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