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Job ohne Alltag

Ob auf Baustellen weltweit oder in Unternehmen – Inbetriebnahmeingenieure testen Anlagen, suchen Fehler, finden Lösungen und sichern Qualität. Bei ihrer Arbeit werden die Ingenieure häufig mit Unplanbarem konfrontiert. Das macht den Beruf so interessant, sagen Inbetriebnehmer

„Der spannendste Tag einer Inbetriebnahme ist die Strahltaufe“, sagt Martin Seerig, „wenn zum Beispiel ein großes, komplexes Bauteil, etwa eine Turbinenschaufel, zum ersten Mal auf einer neuen Anlage geschweißt wird“. Seit zwei Jahren arbeitet der 29-Jährige bei dem auf Elektronenstrahl- und Lasertechnologie spezialisierten mittelständischen Maschinenbauunternehmen pro-beam systems GmbH am Standort Neukirchen bei Chemnitz. Der Inbetriebnahme- und Verfahrensingenieur hat an der TU Freiberg Werkstofftechnik studiert und ist über ein Praxissemester zu pro-beam gekommen. Sein Job: Seerig nimmt Anlagen, zum Beispiel zum Schweißen von Bauteilen, zum Bohren, Härten oder zur Bearbeitung von Oberflächen, die in der Automobilindustrie, der Luft- und Raumfahrt, aber auch der Energietechnologie zum Einsatz kommen, beim Kunden in Betrieb. Oft ist er daher für seinen Arbeitgeber im Ausland, vor allem in den USA, unterwegs.

Inbetriebnahmeingenieure wie Seerig bauen durch ihre Arbeit ein breites Wissen von einer Anlage auf. Sie nehmen – wie der Name sagt – Anlagen in Betrieb und sind oftmals die letzte Instanz, bevor eine fertige und funktionierende Anlage an den Kunden übergegeben werden kann. Anlage testen, Fehler suchen, Lösungen finden, Qualität sicherstellen gehört zum Jobprofil. „Inbetriebnahmeingenieure müssen sich auch um die Dinge kümmern, die man so nicht vorausplanen kann“, sagt Jean Haeffs, Geschäftsführer der Gesellschaft Produktion und Logistik des Vereins Deutscher Ingenieure (vdi).

Die Inbetriebnahme einer Anlage dauert für Seerig dabei je nach Größe und Projekt circa sechs Wochen bis drei Monate. Sein Einsatz erfolgt erst nach der technischen Inbetriebnahme, nachdem die Maschine aufgebaut, die Steuerung und Programmierung in Betrieb genommen wurde und der Motor in die richtige Richtung dreht – kurz: „nachdem die Maschinenfähigkeit sichergestellt wurde.“ Seerig übernimmt anschließend die sogenannte „technologische Inbetriebnahme“, also die Kalibrierung der Maschine und die Überprüfung der Soll-Funktionen. „Im Grunde genommen ist das wie bei einer CNC-Maschine“, sagt Seerig, „nur haben wir eben kein Werkzeug, sondern einen Elektronenstrahl, mit dem zum Beispiel geschweißt wird. Und dafür dass dieser Elektronenstrahl so funktioniert, wie er es soll, bin ich zuständig.“

Wenn Seerig beim Kunden ist, hat er meist eine Woche Zeit sich mit der Maschine vertraut zu machen, um dann verschiedene Tests durchzuführen. Das Lasten- und Pflichtenheft dient ihm als Leitfaden für die Arbeit mit der Anlage. Zu seinen Aufgaben gehört es zum Beispiel, selbst Bauteile mit der Anlage zu schweißen. Insgesamt hat Seerig in den vergangenen zwei Jahren sechs Anlagen in Betrieb genommen, zwei bei Automobilfirmen, die größte in einem Forschungszentrum.

Das Spannende an dem Beruf? „Es sind immer neue, große Anlagen und die Arbeit ist sehr international“, sagt Seerig. Knapp die Hälfte des Jahres ist er im Ausland unterwegs, bei den Kunden trägt er die Verantwortung und muss lernen mit den Mitarbeitern umzugehen, sich in die Maschine einzuarbeiten und sich bisweilen auch durchzusetzen. Kommunikationsfähigkeit ist gefragt, ebenso analytisches Denken und eine zielgerichtete Arbeitsweise: Der Termin muss schließlich gehalten werden.

Inbetriebnahmeingenieure gibt es in Unternehmen vieler Bereiche, dabei unterscheiden sich die Anforderungen an dieses Berufsbild nach der Größe und der Komplexität der jeweiligen Anlagen. „Oft werden Inbetriebnahmeingenieure durch training-on-the-job ausgebildet“, sagt Haeffs vom vdi. „Da in der Regel ein hoher Anteil an Elektro- und Automatisierungstechnik im Spiel ist, benötigen sie fachliche Kompetenzen in Automatisierung, Prozesstechnik sowie der Produktions- und Fertigungssteigerung.“

Dabei gilt: Je größer eine Anlage ist, desto größer ist der Inbetriebnahmeaufwand. „Ab einer gewissen Größe nimmt der Inbetriebnahmeingenieur also eine Schlüsselfunktion ein“, sagt Haeffs, „weil die Anlage, die in der Regel aus verschiedenen Anlageteilen besteht, erst beim Kunden in Gänze montiert und getestet werden kann.“ Inbetriebnahmeingenieure können zum Beispiel für die Inbetriebnahme ganzer Kraftwerke verantwortlich oder in einer Fertigung für riesige Anlagen zuständig sein, die sich wiederum aus hunderter einzelner Anlagen zusammensetzen, die auf einander folgen und die jede einzeln in Betrieb genommen und aufeinander abgestimmt werden müssen. Oft sind Inbetriebnahmeingenieure für ihre Unternehmen „der Mann vor Ort“, haben also eine Mittlerposition zwischen Kunden und eigenem Unternehmen. Oft gehört zum Berufsbild auch, viel zu reisen und flexible Arbeitszeiten in Kauf zu nehmen.

Müllverbrennungsanlagen (MVA) sind ein Spezialgebiet von Istvan Bonnyai, der für das Ingenieurdienstleistungsunternehmen Ferchau Engineering in München als Projekt- und Inbetriebnahmeingenieur arbeitet – und ebenfalls viel im Ausland unterwegs ist. Eine größere MVA in Turin, Italien, und zwei in England hat der 43-jährige, der im Rahmen des Berufsförderungsdiensts der Bundeswehr Mechatronik an der FH Augsburg studiert hat, schon in Betrieb genommen; zuletzt war er für vier Monate in Toronto, Kanada. Zehn Wochen sollte Bonnyais Einsatz dort ursprünglich dauern, durch widrige Wetterverhältnisse, mit Temperaturen bis zu 40 Grad minus, kam es allerdings zu Verzögerungen.

„Wenn ich zu einer Inbetriebnahme komme“, sagt Bonnyai, „ist normalerweise alles fertig verarbeitet und angeschlossen, sodass ich gleich anfangen kann. In Toronto habe ich allerdings aufgrund der Verzögerungen zunächst auch Aufgaben eines Montageingenieurs übernommen. Als Inbetriebnahmeingenieur war es dann meine Aufgabe, zuerst einmal zu prüfen, ob alle Sensoren, das heißt, alle Geräte, die ein Signal an die Steuerung geben, und alle Aktoren, das heißt, alle Geräte, die ein Signal von der Steuerung empfangen, richtig angeschlossen sind und funktionieren.“

Manche Geräte mussten dann entsprechend eingestellt, also parametriert werden. Nachdem das geschehen ist, wurde der Automatikbetrieb mit bestimmten Tests überprüft und kontrolliert, ob das Zusammenspiel aller Komponenten funktioniert. Daraufhin musste die Müllverbrennungsanlage 400 Stunden im Probebetrieb ohne Probleme laufen, bevor sie durch den Kunden abgenommen wurde. Die Abnahme war dann die Aufgabe des Hauptinbetriebnehmers der gesamten Baustelle.

„Jedes Projekt ist spannend“, sagt Bonnyai, „aber der Einsatz in Kanada war für mich besonders, weil ich hier auch Aufgaben eines Projektingenieurs übernommen habe und zum Beispiel die gesamte Steuerung und die Visualisierung programmiert habe.“ Bald reist Bonnyai nach Griechenland, dort wartet ein neues Einsatzgebiet auf ihn, eine komplexe Klimaanlage in den Reinräumen einer Pharmafirma. „Der Job des Inbetriebnahmeingenieurs ist abwechslungsreich. Ich sitze nicht im Büro, sondern lerne andere Kulturen und Menschen kennen“, sagt Bonnyai, „Eigentlich passiert ständig etwas Neues, denn Fehler beziehungsweise Probleme während einer Inbetriebnahme kommen niemals zwei Mal vor. Und das ist die Herausforderung: Es gibt stets Neues zu lösen und ich lerne ständig dazu.“

Dabei muss nicht jeder Inbetriebnehmer Ingenieur sein. Von immer neuen Herausforderungen, der Arbeit bei widrigen Wetterverhältnissen und einem interessanten Arbeitsplatz weiß jedenfalls auch Christoph Gaebel zu berichten.

Einmal im Monat fliegt Gaebel mit dem Helikopter von Emden zur Umspannstation des Offshore-Windparks Global Tech I (GT I), der circa 100 Kilometer vor der deutschen Küste in der Nordsee liegt. Der 29-jährige Meister der Elektrotechnik ist dort als Verantwortliche Elektrofachkraft (VEFK) zurzeit in der Netzführung tätig; zuvor war er Inbetriebnahmeleiter der Umspannstation für GT I. „Wir überwachen das Netz“, sagt Gaebel, „sehen, wie viele Windkraftanlagen Strom einspeisen und kontrollieren die Konstellation des Parks.“

Die Umspannstation ist das „Herzstück“ des Windparks: Hier fließt der Strom aus bald 80 Windkraftanlagen zusammen und die 33-Kilovolt-Mittelspannung wird durch vier große Transformatoren auf 155-Kilovolt Hochspannung umgewandelt. Der Betreiber des Übertragungsnetzes „holt“ hier den Strom über zwei große Kabel ab. Die Anlagen, zum Beispiel die Transformatoren, hat der Hersteller in Betrieb genommen, Gaebel und seine Kollegen haben die Inbetriebnahme begleitet und supervisiert. Vor der Inbetriebnahme wurde festgelegt, „wie die Testprogramme fahren sollen“, erklärt Gaebel, „also wie die verschiedenen Systeme zusammenspielen müssen“. Die Stabilität des Systems zu gewährleisten, gehört nun zu den Aufgaben von Gaebel in der Netzführung. „Wir analysieren zum Beispiel anhand von eigenen Messdaten, wie unsere Anlage bei einem Extremfall reagiert“, erklärt Gäbel. „in solch einem Fall ist die Netzführung verantwortlich, das parkinterne Netz und die Windkraftanlagen weiter mit Spannung zu versorgen.“

Ob auf der Umspannstation oder bei einem Einsatz auf an einer Windkraftanlage im Meer – Gaebel muss sich auf wechselnde Bedingungen einstellen. „Immer wieder macht uns das Wetter bei den Offshore-Arbeiten einen Strich durch die Rechnung. „Das macht meine Arbeit besonders spannend,“, sagt er, „einen Alltag gibt es hier eigentlich nicht“.

Foto: photocase.de


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