Ai Weiwei @Jan Lindenau

Interview mit Ai Weiwei

​Bild: Jan Lindenau

Ai Weiweis Reich ist 2.600 Quadratmeter groß, liegt unter der Erde und war einmal ein Berliner Bierkeller. In den Gewölben, in denen ehemals Fässer lagerten, liegen nun Stühle herum; wo früher Arbeiter die Gänge bevölkerten, sitzen junge Menschen an MacBooks und öffnen Gestaltungs-Apps. Der Meister selber sitzt in einem dunklen Raum, eine einzelne Glühbirne beleuchtet sein Gesicht. Bevor er das Gespräch beginnt, macht er noch ein Foto von mir mit seinem iPhone. Nach dem Gespräch wird er es auf Instagram hochladen und seinen neuen Film verlinken: „Human Flow“.

Ai Weiwei, wie viele Aufnahmen von Ihrem Smartphone haben es in den fertigen Film von „Human Flow“ geschafft?

Sehr wenig, vielleicht fünf Prozent des ganzen Films.

Und trotzdem haben sie die meiste Zeit mitgefilmt, obwohl sie ein Kamerateam dabeihatten.

Ich muss meine Hände beschäftigt halten. Wie bei einem Cowboy, der immer eine Pistole in der Hand hat. Außerdem schätze ich die Sensibilität, wenn ich involviert bin. Als Regisseur schaut man meistens nur auf einen Bildschirm, man ist nicht wirklich beschäftigt. Ich aber möchte es rechtzeitig erkennen, wenn sich eine Situation ändert, anstatt nur an der Seite zu stehen.

In „Human Flow“ zeigen sie die globale Flüchtlingskrise mit Aufnahmen aus 23 Ländern, darunter auch Deutschland. Stimmt es, dass Sie die Idee zum Film hatten, als Sie mit Ihrem Sohn auf Lesbos waren und ein Boot mit ankommenden Flüchtlingen sahen?

Das ist nicht ganz richtig. Den ersten Eindruck hatte ich, als ich 2015 in China war, unter Hausarrest stand und keinen Pass hatte. In meinem Film sieht man am Anfang Aufnahmen von ein paar Menschen, sie stehen ruhig da, als ob ein Passfoto gemacht wird. Ich habe Leute aus meinem Studio in den Irak geschickt, damit sie über 100 Interviews und Porträtaufnahmen machen. Als ich meinen Pass wiederbekam und nach Deutschland kam, stellte ich fest, dass einige von diesen Menschen schon in Berlin waren. Also haben wir uns mit ihnen getroffen, wir sind hier in die Camps gegangen, haben uns an die Grenzen gewagt. Es ist hart, sich all das vorzustellen, wenn man selber nicht dagewesen ist. Aber sobald man es einmal sieht, kann man nicht anders als sich einzumischen.

Human Flow Ai Weiwei gehört zu den wichtigsten Vertretern der chinesischen Gegenwartskunst. Als Kritiker der Regierung steht er unter ständiger Beobachtung und wurde 2011 monatelang inhaftiert. Für seinen neuen Film „Human Flow“, der seit dem 16.11.2017 im Kino läuft, reiste der Aktivist in Flüchtlingscamps in 23 Ländern. Als junger Mann studierte Ai Weiwei in Peking und New York, heute lebt er in Berlin und ist u. a. Gastprofessor an der Universität der Künste.

Sie haben ein junges internationales Team, viele sind neu in Deutschland. Kamen Ihre Mitarbeiter auf Sie zu, um ihre Geschichte zu erzählen?

Ich brauche nicht noch mehr Geschichten. Ich bin selber ein Flüchtling, seitdem ich geboren wurde. Meine eigene Geschichte reicht mir. Mein Vater wurde ins Exil verbannt, ich lebte mit ihm, ich weiß, wie es sich anfühlt, ein Leben ganz unten zu führen. Ich kenne die Anstrengungen, die die Menschen leisten müssen. Deswegen akzeptiere ich in meinem Team Menschen mit jedem Hintergrund, ob mit Abschluss oder ohne, ob gebildet oder nicht.

Was braucht man dann, um Teil Ihres Teams zu werden?

Sie müssen neugierig auf das Leben sein. Sie brauchen ein Selbstwertgefühl, um ihre eigene Wahrheit zu finden.

Als der junge Ai Weiwei mit 24 nach New York ging, brachte er das alles schon mit?

Nein, ich war da sehr rückständig. Ich bin in einer kommunistischen Gesellschaft aufgewachsen, wir hatten keine normale Ausbildung – sehr viel Propaganda und Gehirnwäsche. Also musste ich mich erst einmal ent-bilden. Das dauerte viele Jahre in New York. Dazu musste ich noch lernen, was der Kapitalismus ist, dazu Konzepte wie Materialismus, Demokratie, Freiheit, Individualität.

Ihr Leben in New York als junger Mann – war das wie das Leben eines normalen Studenten?

Mein Leben war nie wie das eines normalen Studenten. Ich mochte das Leben auf dem Campus nicht, meine Erfahrungen mit Kollektiven und Disziplin in China waren keine guten. Bei mir ist ein gewisser Individualismus tief verankert. Und im Kapitalismus ist das wie eine Bombe: Ich hatte keinen Job, keine soziale Absicherung, war auf mich allein gestellt. Es war hart, aber es war eine lehrreiche Zeit, die ich gebraucht habe.

In ihrem Film „Human Flow“ gibt es eine Szene mit jungen Studentinnen, die in Gaza am Meer sitzen und über ihre Ziele und Hoffnungen reden.

Das war eine schöne Szene. Als wir anfingen zu drehen, hieß es immer: Seid vorsichtig, wenn ihr arabische Frauen filmt. Also war ich zunächst immer vorsichtig. Aber dann merkte ich: Sie sind wie wir, es gibt keinen Unterschied. Auch sie wollen Party machen, sie wollen Lehrerinnen werden. Und sie wollen reisen, was aber nicht möglich ist, weil sie in einem großen Gefängnis leben. Das sind ihre Umstände und es gibt für sie keinen Weg, um das zu ändern.

Wir Studierende in Deutschland wollen auch Party machen, haben aber das Privileg dorthin fahren zu können, wohin wir wollen.

Darauf darf man nicht stolz sein, es bringt vielmehr zusätzliche Verantwortung mit sich. Wenn die eigenen Brüder und Schwestern unter solchen schlimmen Bedingungen leiden, dann darf man nicht stolz auf die eigenen Privilegien sein. Man müsste sich eher schämen und ihnen bewusst einen Teil der Möglichkeiten geben, die Ihr jetzt habt.

Haben Sie das jetzt auch mit Ihrem Film getan?

Genau. Ich bin privilegiert, ich habe die Möglichkeit mich auszudrücken. Und wenn ich das nicht tun würde, was für ein Stück Scheiße wäre ich dann?


Der chinesische Künstler und Aktivist über seine neuen Film "Human Flow".

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