Interview Claudia Nemat Telekom

Interview Claudia Nemat

„Monokultur hat keine Zukunft“

Seit 2011 ist Claudia Nemat Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom AG und verantwortlich für den Geschäftsbereich Europa und Technik. Der Mangel an Frauen in MINT-Berufen und Führungspositionen in Deutschland – für sie unverständlich und schon lange nicht mehr zeitgemäß.
Frau Nemat, Sie selbst haben Mathematik und Physik studiert. Warum, was hat Sie daran interessiert?
Ich wollte schon früher genau verstehen, wie die Welt um mich herum funktioniert. Wie sind die Erde und das Weltall entstanden? Warum bewegen sich die Planeten um die Sonne? Dank des
Studiums konnte ich meine Begeisterung für diese Fragen ausleben. Gibt es vielleicht ein physikalische Gesetz oder mathematisches Problem, das Sie bis heute fasziniert?
Die Heisenbergsche Unschärferelation: Je genauer man versucht, ein System zu beobachten bzw. konkret den Ort eines Teilchens zu bestimmen, desto mehr verändert man seinen Zustand. Diese
Erkenntnis hat im 20. Jahrhundert das bis dahin gültige deterministische Weltbild der Physik auf den Kopf gestellt. Im übertragenen Sinne lässt es sich heute auf das Management bzw. die Führung von
großen Unternehmen und Organisationen anwenden: Mikromanagement sowie Befehls- und Kontroll-Führungsstile (zer)stören die Unternehmenskultur und damit die Leistungsfähigkeit. Eine junge Frau liebäugelt mit einem MINT-Studienfach. Was würden Sie ihr sagen?
Einfach machen! In meinen Augen ist der entscheidende Faktor bei der Wahl eines Studienfachs: Wie sehr interessieren mich die Themen, die gelehrt werden? Und wenn das Interesse an einem MINT-
Fach eben am größten ist, gibt es keinen Grund, es nicht zu probieren. Wenn ich überlege, welche Faktoren eine junge Frau abhalten könnten, ihr naturwissenschaftliches Interesse zu verwirklichen,
lande ich am Ende immer beim gleichen Thema: Die komische Vorstellung, dass Frauen für technische Berufe ungeeignet sind, ist zwar längst veraltet, aber leider noch nicht vollständig ausgemerzt. Als Europa-Chefin der Telekom können Sie international vergleichen: Ist der Mangel an Frauen im MINT-Bereich ein speziell deutsches Problem?
In den meisten unserer europäischen Tochtergesellschaften werden Ihnen wahrscheinlich eher Frauen in technischen Berufen und in Führungspositionen begegnen als in Deutschland. Das hat damit zu tun, dass es in diesen Ländern mehr Rollenvorbilder dafür gibt. Dort ist es schon seit Jahrzehnten ganz normal, dass Mann und Frau arbeiten gehen. Das Bild der Hausfrau ist dort weniger geläufig als bei uns. Kinder, die unter diesen Eindrücken aufwachsen, gehen natürlich auch anders an die Berufswahl heran. Wir brauchen mehr weibliche Rollenvorbilder! Je sichtbarer starke Mädchen und Frauen sind, die sich mit Technik und MINT beschäftigen, umso stärker orientieren sich nachrückende Generationen junger Frauen in diese Richtung. Wir müssen aber auch an den Rahmenbedingungen arbeiten: In skandinavischen Ländern ist das Arbeitszeitvolumen von Frauen und Männern ähnlich; auch der Anteil von Frauen in Führungspositionen ist viel höher als bei uns. Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist kein Thema der Frauen, sondern ein Thema für alle arbeitenden Väter und Mütter. Da sollten wir ansetzen und genau schauen, was wir von diesen Ländern für uns übernehmen können. Bedenkt man aktuelle Trends wie die „Industrie 4.0“, waren die Zeiten, ein MINT-Fach zu studieren, scheinbar nie spannender als heute. An zukunftsweisenden Projekten können Frauen speziell bei der Telekom in den nächsten Jahren mitarbeiten?
In der heutigen Gesellschaft werden immer mehr Daten generiert. Alles wird digital und vernetzt. Dadurch entstehen viele neue Möglichkeiten, aber auch neue Angriffspunkte und Gefahren. Unsere
Aufgabe ist, die Netze und somit die Daten unserer Kunden zu sichern. Da brauchen wir Vor- und Querdenker, die durch andere Denkweisen Innovationen vorantreiben, unabhängig von Geschlecht und Herkunft. Ein konkretes Beispiel wäre etwa ein Telekom-Projekt, das erst kürzlich von der Preisträgerin des MINT-Frauen Awards, Katrin Erlinghagen von der TU Dortmund, entscheidend mitgestaltet wurde. Sie hat sich mit den „Netzen der Zukunft“ auseinandergesetzt und schrieb in ihrer Masterarbeit über heterogene Netze. Das ist ein sehr wichtiges Thema für uns, da wir unter anderem in Ballungsräumen das Mobilfunknetz verdichten müssen, um dem Bedarf unserer Kunden und ihrer Smartphones auch in Zukunft gerecht zu werden. Dabei variiert die Größe der Funkzellen und sogenannte „Small Cells“ kommen statt großer Antennen zum Einsatz. Denken Sie an smarte Bauteile, die ihre eigene Wartung und Pflege kontrollieren und steuern können. Wir werden im Bereich Vernetzung in den
nächsten fünf Jahren sehr spannende Entwicklungen sehen.
Besonders rar sind Frauen in Führungspositionen. Wo liegt die Wurzel des Übels?
Momentan sind Frauen in Führungspositionen noch eher selten. In der heutigen Gesellschaft darf man nicht so schwarz-weiß denken. Das Rollenbild der Frau muss sich ändern. Derzeit sieht es oft
noch so aus: Frauen kümmern sich primär um die Kinder. Deswegen fällt es stärker auf, wenn die Mutter nicht zu Hause ist. Dabei können Sie genau so die Frage stellen: Welcher Familienvater im
mittleren oder oberen Management ist glücklich mit der Situation, seine Kinder nur spät abends oder sogar nur am Wochenende zu sehen? Die Kunst besteht für Väter wie Mütter darin, alles unter einen
Hut zu bringen. Ich bin ja auch eine Frau in einer Führungsposition, Mutter von zwei Kindern und gemeinsam mit meinem Mann müssen wir unsere Berufs- und Familienleben miteinander vereinen.
Die Wirtschaft muss die dafür notwendige Infrastruktur schaffen. Ich wünsche mir, dass Frauen in der Berufswelt sichtbarer werden. Unternehmen müssen Rahmenbedingungen schaffen, die
Unterschiedlichkeit fördern und so neue Sichtweisen auf Produkte und Märkte ermöglichen. Die Deutsche Telekom macht das seit einiger Zeit. Wir haben bei uns zahlreiche Programme ins Leben
gerufen, die Frauen auf ihrem Karriereweg unterstützend begleiten. Warum tun Unternehmen gut daran, Unterschiedlichkeit bzw. Diversity zu fördern?
Unternehmen stehen heute in einem brutalen globalen Wettbewerb um gute Ideen und die besten Produkte am Markt. Die Digitalisierung der Wirtschaft hat zu einer rasanten Innovationsgeschwindigkeit geführt; die Märkte bewegen sich in immer schnellere Zyklen. In diesem Wettbewerb der Ideen geht es um neue Ansichten auf alte Märkte. Jede Art von Management, das auf Monokulturen basiert, wird in diesem Wettbewerb keinen Bestand haben. Deshalb ist es wichtig, Menschen zusammenzubringen, die unterschiedliche Ansichten und Denkweisen haben. Modernes Management muss Unterschiedlichkeit – auch „Diversity“ genannt – managen und fördern. Gerade in Deutschland haben wir in der Vergangenheit zu einer Monokultur tendiert – da werden die gleichen Märkte, mit den gleichen Managern, die oft die gleiche Ausbildung genossen und oft auch lange zusammen gearbeitet haben, mit den gleichen Methoden analysiert. Und dann wundern sich alle, warum die Produkte austauschbar sind. Manager sollten sich die Frage stellen, wie sie das ändern können. Initiativen wie mehr Vereinbarkeit von Familie und Beruf, Quereinstieg ins Management oder viel mehr internationale Erfahrung sind eine Notwendigkeit, mit der Unternehmen in Zukunft kreative Köpfe anziehen können.


Seit 2011 ist Claudia Nemat Vorstandsmitglied der Deutschen Telekom AG und verantwortlich für den Geschäftsbereich Europa und Technik. Der Mangel an Frauen in MINT-Berufen und Führungspositionen in Deutschland – für sie unverständlich und schon lange nicht mehr zeitgemäß.

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