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Du hast die Wahl! Ska Keller, jüngste deutsche Abgeordnete im EU-Parlament

Am 25. Mai ist Europawahl. Mitmachen heißt mitbestimmen – wie wir zukünftig leben, arbeiten und studieren. UNIGLOBALE war in Brüssel unterwegs und hat zwei Abgeordnete getroffen.

Rucksack, Chucks, dazwischen Klamotten, wild verstreut auf Boden und Sofa – Ska Kellers kleinem Büro in Brüssel sieht man es ein wenig an: Hier arbeitet jemand, der viel unterwegs ist. Spanien, Frankreich, Deutschland, Tschechien und Slowenien. Demnächst noch Finnland und Schweden. Der Europawahlkampf läuft auf Hochtouren und Ska Keller macht Mitgliedsstaaten-Hopping.

»Ich wohne im Koffer«, sagt die junge Politikerin, die im Mai als Spitzenkandidatin der Europäischen Grünen antritt. »Es gibt keine zwei Tage, die sich vollkommen gleichen. Es ist immer hektisch.« Ohne ihren Outlook-Kalender, der mit orangefarbenen, also wichtigen Terminen fast überquillt, liefe wohl nichts. Auch in Straßburg, oder wie jetzt in Brüssel zur zweitägigen Plenartagung, wenn sich Fraktions-, Ausschuss-, Plenar-, Vorbereitungsund Arbeitsgruppensitzungen gegenseitig jagen. Dazwischen noch diverse Interviews und Wochenend-Events zu Th emen wie ‚Asyl in Europa‘ oder ‚Das Freihandelsabkommen mit den USA‘. 87 Arbeitsstunden pro Woche kommen so locker zusammen. Fürs Joggen, ihren Ausgleich, bleibt da meist nur die Kalender- Farbe Blau für ‚vielleicht‘.

Dass ihre Wohnungen in Berlin und Brüssel durch dieses Pensum eher Übergangsstationen sind und sich die Anschaffung von Zimmerpflanzen kaum lohnt, nimmt Ska Keller gern in Kauf. Auf die Frage, warum, kommt ein selbstbewusstes Statement: »Ich will die Welt verbessern.«

Das war schon früher so, als Jugendliche, als sie noch im brandenburgischen Guben lebte und sich für den Tierschutz und gegen Neonazis engagierte. Politisch aktiv sein – für sie sei das immer ganz logisch und normal gewesen, kein Lebensentwurf, für den sie sich an einem bestimmten Zeitpunkt bewusst entschieden hätte. Organisch ging es weiter, als sie Die GRÜNEN für sich entdeckte: Mitglied im Bundesvorstand der GRÜNEN JUGEND, Sprecherin der Federation of Young European Greens (FYEG) und Landesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen in Brandenburg. Parallel dazu studierte sie Islamwissenschaft, Türkologie und Judaistik in Berlin und Istanbul.

2009, den Studienabschluss gerade in der Tasche, begann Ska Kellers europapolitische Karriere: Im Alter von 27 Jahren zog sie mit dem Motto ‚Nicht nur Opa für Europa‘ erstmals ins Europäische Parlament ein. Heute ist sie mit 32 Jahren noch immer die jüngste deutsche Europaabgeordnete.

»Das Zusammenwachsen und Überwinden von Grenzen – das ist nach wie vor das, was Europa für mich ausmacht«, sagt Ska Keller, die neben
Deutsch auch fl ießend Englisch, Französisch und Spanisch spricht. Aufgewachsen an der deutsch-polnischen Grenze, sei diese Erfahrung sicher prägend für sie gewesen. Das Anstellen, Passvorzeigen, die LKW-Schlangen, die kilometerweit ins Land hineinstanden. Heute sei das überhaupt kein Ding mehr: keine Umwege über Grenzhäuschen, sondern einfach nur noch fünf Meter geradeaus.

So verwundert es kaum, dass sie sich als Mitglied im Handels- und Innenausschuss nicht nur mit Handels- und Entwicklungspolitik befasst, sondern ihre Zeit und Energie vor allem einer menschenwürdigeren Asyl- und Flüchtlingspolitik widmet. Viel reist sie in Krisengebiete, z. B. nach Ceuta, einer spanischen Stadt an der nordafrikanischen Küste. Ein Europa, das sich abschottet und als Festung betrachtet – für Ska Keller ist das keine Lösung. Immerhin: Sie konnte durchsetzen, dass Einsätze der Grenzschutzagentur Frontex zukünft ig durch einen Menschenrechtsbeauft ragten begleitet werden. Man könne im EU-Parlament durchaus konkrete Dinge erreichen, sagt Ska Keller.

Über die Medien ärgere sie sich manchmal. Wenn diese verallgemeinernd schreiben »Europa hat entschieden, dass…«. Vor allem vor der Wahl müsse man doch wissen, wen man da eigentlich wählt, welche Positionen er vertritt, was er für richtig und was für falsch hält. Ihre Art Politik und Wahlkampf zu machen ist daher modern und transparent. Facebook und Twitter gehören ebenso dazu wie ihr Blog, auf dem sie per Text und Video-Podcast von ihrer Arbeit und ihren Ideen berichtet. Auch wie sie zur Spitzenkandidatin gewählt wurde, zeugt von einer neuen Zeit: per ‚Green Primary‘, der ersten europaweiten Online-Abstimmung.

Dass im EU-Parlament nur 30 Prozent Frauen und nur eine Handvoll junger Abgeordnete sitzen, fi ndet Ska Keller ‚bitter‘ und ‚erschreckend‘. So gebe es zwischen ihr und der derzeit Jüngsten im Bunde – der 26-jährigen Schwedin Amelia Andersdotter, Vorsitzende der Europäischen Piratenpartei – lediglich zwei weitere Vertreter einer neuen Generation. Doch den Wandel sehe sie kommen. »Ich wünsche mir, dass Parteien zukünft ig mehr junge Leute aufstellen und auch vorne ranlassen«.

Sagt’s und schaut auf die Uhr. Sie muss wieder los. Der Abend ist für Abstimmungen reserviert. Zum Beispiel über die Iran-Strategie der EU und eine europaweite Senkung des Geräuschpegels von Kraft fahrzeugen. Danach noch ein Radiointerview, morgen weiter nach Frankreich, übermorgen nach Ceuta. Ein Leben für Europa.

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