„Ich lebe Musik“
Als eine der wenigen Frauen hat es Fruzsina Szép in der Musikbranche ganz weit nach oben geschafft: Acht Jahre war die 38-Jährige Programmdirektorin und künstlerische Leiterin des legendären Sziget-Festivals in Budapest. An der Uni hat sie gelehrt, wie man richtig gute Festivals aufzieht. Heute lebt die die gebürtige Ungarin in Berlin und hat beim Lollapalooza, das 2015 erstmals in der Hauptstadt stattfand, die Fäden in der Hand.
Fruzsina, was bedeutet dir Musik?
Die Leidenschaft für Musik wurde mir quasi in die Wiege gelegt. Als ich noch im Bauch meiner Mutter war, hat sie mir immer vorgesungen und mein Vater hat Klavier gespielt. Kunst, Kultur und Musik waren bei uns zuhause allgegenwärtig. Später, als kleines Mädchen, habe ich zusammen mit meinem Vater Klavier gespielt, ich habe Tanzunterricht genommen und war in einer Schauspielschule. Vieles also, was mit der Materie Musik und Bühne zu tun hat. Das alles begleitet mich bis heute: Ich höre nicht nur Musik, sondern ich lebe Musik. Sie ist für mich so wichtig wie die Luft. Jeden Morgen nach dem Aufstehen höre ich mir eine Platte an, jeden Abend schlafe ich mit Musik ein. Diese Rituale begleiten mich seit meinem 16. Lebensjahr.
Welche Platte war es heute früh?
Das Album zum Musical „Hair“. Warum, frag mich nicht. Das kommt immer auf den Gemütszustand an. Wenn man dann vor seinem Plattenregal steht, hat man so diesen siebten Sinn – da spricht dich eine Platte plötzlich einfach an.
Warst du früher selbst jemand, der viel auf Konzerte und Festivals gegangen ist?
Ja, ich bin wahnsinnig gerne in Clubs gegangen und habe mir da Konzerte angehört. In meiner Teeniezeit und auch später noch bin ich sehr oft von meinem großen Bruder auf Konzerte mitgenommen worden. Er hat viel dazu beigetragen, wie sich meine musikalische Landschaft entwickelt hat. Musik, die er gerade hörte, hat er mir immer gezeigt. Zum Geburtstag habe ich von ihm Kassetten und CDs bekommen. ACDC, The Black Crowes, Radiohead, Red Hot Chilli Peppers, Queen. Auch viele Mixtapes hat er mir gemacht. Die habe ich immer noch, sie kommen bei jedem Umzug auch wieder mit. Das alles hat mich unheimlich geprägt. Mein musikalisches Spektrum ist sehr sehr groß. Ich würde fast sagen, ich bin ein „Allesesser“. Ich kann mitrocken und headbangen, mag aber auch wahnsinnig gern die romantische und innige Musik von Singer-Songwritern, portugiesischen Fado oder französische Chansons.
Gab es ein Konzert, das dir besonders in Erinnerung geblieben ist?
Ja, damals war ich 18 oder 19. Die Rolling Stones in Wien, das war mega, da bekomme ich heute noch Gänsehaut. Mein Bruder hat mich auf seine Schultern genommen. Oder Michael Jackson in Budapest. Wahnsinn, Wahnsinnsshow. Oder jetzt erst vor Kurzem auf dem Lollapalooza Chicago: Radiohead.
Wie lief denn dein Einstieg in die Festivalbranche?
Mit 18 Jahren, vor meinem Studium, habe ich bei einem Sommerprojekt am Plattensee mitgemacht. So ein Lifestyle-Open-Air-Beachclub, in dem es jeden Tag Konzerte und Beachpartys gab. Ich war da die Leiterin vom Informationsteam und war z. B. Ansprechpartnerin für die Roadies und Manager der Bands und DJs. Ich half auf der Bühne, beim Aufbauen und Kabelverlegen. So lernte ich diese Welt kennen. Zwei Jahre habe ich das gemacht, dann bekam ich ein Jobangebot als Eventmanagerin. Ich habe so neben meinem Studium gearbeitet und gemerkt, dass mein Herz der Bühne und dem Drumherum gehört. In dieser Zeit bin ich viel um die Welt gereist, habe viele Life-Events organisiert und monatelang in Ländern wie Frankreich, Italien oder England gelebt.
Auch in der Musikbranche sind Frauen in leitenden Positionen eher rar gesät. Ärgert dich das?
Generell ärgert mich das überhaupt nicht. Es sind ja meistens ganz tolle Männer, die hinter den europäischen Festivals stehen. Aber es würde mich sehr freuen, wenn mehr Frauen die Möglichkeit bekämen, Führungspositionen bei Festivals zu übernehmen. Mein Gefühl ist es, dass Frauen viel weitsichtiger sind und viel sensibler dahingehend agieren, wie man ein Festival gestalten kann. Nach meiner Erfahrung ist es wichtig, starke Frauen im Team zu haben. Denn Frauen haben oft viel mehr einen Sinn für das Schöne, für das konzeptuelle, kreative Denken, das „to think outside the box“-Denken. Manchmal sind die Männer so dominant, dass die Frauen sich nicht trauen, ihre wahre Kompetenz zu zeigen und zu entwickeln. Ich würde mir sehr wünschen, dass auch männliche Kollegen dieses große Potential mehr und mehr sehen und nutzen.
Wie würdest du deinen Führungsstil beschreiben? Siehst du dich vielleicht als eine Art Vorbild?
Die Latte in Sachen Leistung liegt bei mir ist sehr hoch. Das heißt aber nicht, dass ich das Gleiche auch von meinem Team erwarte. Aber ich hoffe, dass ich mit einem guten Beispiel vorangehe und zeigen kann, dass, wenn man an etwas glaubt, an sich glaubt, fleißig ist und sich nicht unterkriegen lässt, man viel erreichen kann. Respekt erlangst du nur über eine menschliche Art und Weise, indem du auch als Chef Bitte und Danke sagst, nicht aggressiv bist oder gar Angst verbreitest, aber trotzdem Stärke zeigst. Frauen können so stark sein. Und: Man kann auch weiterhin Frau sein. Ich sehe oft, dass Frauen dann so „männlich“, so hart werden. Ich bleibe in allem, was ich tue, weiterhin Frau und hoffe, dass ich vielleicht ein Vorbild für die nächste Generation sein kann.
Wer ein Festival besucht, erlebt eine unvergessliche Zeit. Doch wie viel Arbeit steckt dahinter?
Nach dem Festival ist vor dem Festival. Wir arbeiten zwölf Monate an einem Festival und jetzt schon am Line-up für 2017. Vor allem die vier Wochen vor Festivalbeginn sind Hardcore Techno, Stress Hoch 3. Da läuft uns das Adrenalin aus den Ohren. Das kann man auch gar nicht richtig in Worte fassen. Ich arbeite dann so um die 14 und 16 Stunden am Tag. 300 bis 500 E-Mails kommen rein, du bist ständig in Meetings, du telefonierst, bist vor Ort beim Aufbau. Wer in dieser Branche arbeiten möchte, braucht wirklich harte Nerven, muss die Ruhe bewahren, muss schnell reagieren können, nicht ausflippen oder ausrasten. Während des Festivals schläft man kaum, isst kaum, das Telefon klingelt ständig. Dann, wenn alles vorbei ist, fällt man dann förmlich in sich zusammen. Manche Kollegen bekommen danach sowas wie eine „Festival-Depression“.
Mit welchem Gefühl sollen Besucher vom Platz gehen, damit du sagst: „Das war ein echt gelungenes Festival“?
Mit dem Gefühl, dass sie nächstes Jahr gern wiederkommen wollen. Ich bin so froh, dass Festivals von heute – neben der Musik – noch so viele weitere kulturelle Aspekte haben. Street Art, Urban Art, Food, Theater, Straßentheater, Oper oder Zirkus. Unsere Besucher sollen mit positiven Gefühlen nach Hause gehen, mit Erlebnissen und Eindrücken, die für sie einzigartig waren, die ihren kulturellen Horizont erweitern und öffnen. Dieses Ziel ist der Benzin, der meinen Motor antreibt.
Für Kurzentschlossene: Auf www.lollapaloozade.com sind noch ein paar Resttickets zu haben.
„Ich lebe Musik“ sagt die Leiterin des Lollapalooza Festivals.