Illustration by Robert Seegler
Noch immer gibt es deutlich weniger Frauen als Männer in MINT-Berufen. Doch das Selbstverständnis der Tech-Frauen ändert sich. Es gibt zunehmend weibliche Vorbilder, die an der Spitze von Unternehmen stehen – und die Digitalisierung aller Branchen schafft mannigfaltige Einsatzgebiete. Wir stellen drei Berufseinsteigerinnen vor, die beste Karrierechancen haben.
24 Mädchen hat Angela Merkel ins Bundeskanzleramt geladen. Sie schüttelt ihnen die Hände, wandert mit ihnen einen Technik-Parcours ab und posiert mit ihnen vor den Kameras der Medienvertreter. Es ist Girls‘ Day – und die Bundeskanzlerin nimmt sich wie jeden Frühling zum Aktionstag Zeit für eine kleine Gruppe Teenies, um auf ein großes Projekt aufmerksam zu machen: Der „Mädchen-Zukunftstag“ soll Schülerinnen Berufe nahebringen, die in ihren Augen eher Jungssache sind: „Die Verdienst- und Karriereaussichten in den sogenannten MINT-Berufen sind sehr gut“, wirbt die Kanzlerin. „Zudem steigt der Bedarf an gut ausgebildeten Fachkräften.“ Soll heißen: Es lohnt sich, liebe Mädchen! Das Thema liegt Angela Merkel am Herzen: Weil sie davon überzeugt ist, dass der Innovationsstandort Deutschland von gut ausgebildeten ITlern und Naturwissenschaftlern lebt. Und weil sie selbst als Physikerin eines der sogenannten MINT-Fächer – Mathe, Informatik, Naturwissenschaften und Technik – studiert hat.
Damit gehört sie noch heute, fast 30 Jahre nach ihrer Promotion, zu einer Minderheit. Aktuelle Zahlen belegen das: Der Frauen-Anteil unter den Studierenden naturwissenschaftlicher Fächer ist laut Daten des Statistischen Bundesamts anhaltend niedrig. In den Ingenieurwissenschaften waren es im Wintersemester 2013/14 magere 22 Prozent Studentinnen, im Fach Elektrotechnik sogar nur gut 10 Prozent. Die Naturwissenschaften, dazu gehören u.a. Mathe und Physik, erreichen mit 37 Prozent einen vergleichsweise hohen Wert.
Um die Zahlen insgesamt zu steigern – darauf haben sich Politik und Wirtschaft geeinigt –, werden unzählige Aktionstage, Förderprogramme und Projekte initiiert, um das zusammenzubringen, was offensichtlich nicht von alleine zueinander findet: Mädchen und Technik. Der Girls Day ist nur eins der Angebote. Schon im Kindergarten wird die Entdeckerfreude von Mädchen und Jungen bundesweit vom „Haus der kleinen Forscher“ unterstützt. Bei „Komm mach MINT“ wollen 190 Organisationen aus Wirtschaft, Politik, Wissenschaft und Medien Mädchen durch unterschiedliche Aktionen für MINT-Berufe begeistern. Die Code Week, eine europäische Initiative, hat 2014 erstmals in Deutschland stattgefunden und soll Mädchen und Jungen spielerisch an die Welt der Technik und ans Programmieren heranführen. Und haben die jungen Frauen erstmal einen Abschluss in der Tasche, setzen große wie mittlere Unternehmen eigene Programme auf, um ihr Fortkommen zu unterstützen.
Kathrin Geiger kennt solche Programme. Sie findet es besonders wichtig, mit dem Engagement schon in der Schule zu beginnen. „Damit die Mädchen, die Interesse an technischen Fächern haben, sich das Selbstbewusstsein nicht nehmen lassen.“ Falsche Bemerkungen vom Lehrer, Dominanz der Jungen oder fehlendes Interesse der übrigen Mädchen – vieles kann dazu führen, dass Mathe, Physik oder Chemie uninteressant wirken. Kathrin Geiger hat das allerdings nie selbst erfahren. Sie hatte Spaß – und gute Noten – in Mathe und Physik. Möglich, dass es an ihrer familiären Prägung lag: Ihr Vater ist Ingenieur, ihr Bruder auch. Geiger selbst ist heute Doktorandin bei BMW. Die inzwischen 28-Jährige hat Elektro- und Informationstechnik an der Technischen Universität München studiert. Nach ihrer 1,0er-Diplomarbeit über Metall-Halbleiter promoviert sie nun zum Thema „Physisches Bordnetz“. Vereinfacht dargestellt, geht es dabei um eine neue Entwurfsmethode für Kabelbäume, einem Herzstück der Elektronik im Auto, das alle elektronischen Komponenten miteinander verbindet, diese mit Strom versorgt und die Kommunikation zwischen den Steuergeräten ermöglicht. Klingt für Außenstehende abstrakt, Geiger gerät aber ins Schwärmen, wenn sie von ihrer Arbeit berichtet: „Ein Kabelbaum ist für Autofahrer nicht sichtbar, aber er ist unverzichtbar – vergleichbar mit den Blutbahnen und dem Nervensystem im menschlichen Körper.“ Probleme erkennen, Verbesserungen hervorbringen, Lösungen erarbeiten, das sind die Arbeitsschritte, die die Elektrotechnikerin begeistern. Und wenn sie ein Thema erfolgreich gemeistert hat: Abhaken und weitermachen mit der nächsten Herausforderung. „Ich möchte wissen, wie die Dinge funktionieren. Es macht mir Spaß, wenn ich Technik verstehe“, sagt die Doktorandin. „Auswendig zu lernen, hat mir nie gefallen. Ein Jura-Studium wäre der Horror für mich gewesen.“
Den Dingen auf den Grund gehen und Technik verstehen – das ist auch der Antrieb von Kathrin Reichstein. Die Bauingenieurin arbeitet für THOST Projektmanagement und lernt durch ihre wechselnden Auftraggeber laufend neue Themen kennen. Anlagen, Energie, Mobilität und Immobilien heißen die Tätigkeitsbereiche von THOST – und Reichstein hat seit ihrem Berufsstart Ende 2011 bereits drei davon kennengelernt. Aktuell bereitet sie den Neubau einer Höchstspannungsleitung mit vor. Ihr persönliches Highlight wäre die Mitarbeit an einer Offshore-Windanlage – weil es dort nicht nur ein herausforderndes technisches Projekt gäbe, sondern zusätzlich erschwerte Bedingungen durch Wind und Wetter. „Große Projekte faszinieren mich. Wenn ich daran mitwirken kann, eine riesige Anlage zu errichten und hinterher verstehe, wie sie funktioniert, finde ich das cool“, sagt die 28-Jährige. „Früher hatte ich keine Ahnung, wie eine Stromtrasse funktionierte. Heute weiß ich es, das erfüllt mich.“ Allerdings entdeckte Reichstein ihre Faszination erst nach und nach: Ihre Leistungskurse in der Oberstufe waren Englisch und Mathe – und ihr Vater war Ingenieur. So schien es naheliegend, ebenfalls ein Bauingenieursstudium anzufangen. „Ich hatte mir eigentlich nur ein Semester gegeben, aber dann machte es Spaß, es fiel mir leicht, und ich bin dabei geblieben.“
Dass sie von männlichen Kollegen und Kunden respektiert wird, hält sie für selbstverständlich. „Wenn es darum geht, auch mal anzupacken, sollte man nicht zimperlich sein. Mir gefällt das, ich bin eher praktisch veranlagt. Und wenn man zeigt, dass man was drauf hat, kann es sogar von Vorteil sein, eine Frau zu sein.“ Inzwischen sei es auch akzeptiert, sich als Frau zu kleiden – und nicht als Ingenieurin in Herrenoutfit daherzukommen. Sie selbst würde zwar nicht im kurzen Rock zur Arbeit gehen, sagt Reichstein, aber das sei eine Typ-Frage. Bluse, chice Hose, Blazer – so sieht ihre Arbeitskleidung aus.
Sogar solche Kleinigkeiten können dazu beitragen, dass sich das Image naturwissenschaftlicher Berufszweige ändert. Als sich die Amerikanerin Marissa Meyer im Sommer 2013 als Vorstandschefin von Yahoo liegend im hautengen Kleid für das Modemagazin Vogue ablichten ließ, diskutierte die halbe IT-Szene, ob so etwas erlaubt sei. Und wenn die Physikerin Claudia Nemat als einzige Frau im Vorstand der Deutschen Telekom AG die Ressorts Technik und Europa verantwortet – und zugleich Mutter zweier Kleinkinder ist, bewirkt sie als Vorbild für viele Frauen mehr als unzählige Broschüren über die spannenden Jobs.
Moderne weibliche ‚Role Models‘ einerseits – und konkrete Unterstützung andererseits, das sind die Eckpfeiler, mit denen insbesondere große Konzerne derzeit weibliche Nachwuchskräfte begeistern, allen voran in den USA: Google investierte vorigen Sommer 50 Mio. US-$ in Programmier-Kurse für Mädchen, Facebook, Twitter und AT&T unterstützen ähnliche Initiativen. Nicht nur aus Gutmenschentum: Der Fachkräftebedarf unter ITlern ist riesig – allein in den USA rechnet „Girls who code“ bis 2020 mit 1,4 Millionen offenen Stellen für IT-Fachkräfte – und Frauen gelten als großes, bislang noch ungenutztes Potenzial. Auch hierzulande ist der Frauen-Anteil an Informatik-Studierenden mit 18 Prozent besonders niedrig. Für Katja Windt, Präsidentin der Bremer Jacobs University und promovierte Maschinenbau-Ingenieurin, ist das ein Unding: „Die Arbeitsmarktchancen für Absolventen von Ingenieurwissenschaften sind ungleich besser als in anderen Bereichen.“ Warum also, fragt sie, versuchen hier nicht mehr Mädchen ihr Glück. Ihre Chancen liegen deutlich höher als in umkämpften Funktionen wie Personal oder Marketing. Und Bettina Laurick, Deutschland-Chefin des IT-Dienstleisters GFT Technologies, betont: „Letztendlich entscheidet die persönliche Interessenslage einer jeden Schülerin und Studentin. Wenn wir allerdings in die Zukunft schauen, wird klar, dass IT zunehmend unser Leben und unsere Arbeit im Zuge der Digitalisierung beeinflussen wird. Die MINT-Fächer bieten also echte Chancen für eine erfolgreiche Karriere.“
Das hatte auch Kornelia Birnkammerer im Hinterkopf: Nach einer Ausbildung zur Steuerfachangestellten erkannte sie bald die Grenzen dieser Tätigkeit. Physik und Mathe hatten ihr schon in Schule Spaß gemacht, also sattelte sie ein Wirtschaftsingenieur-Studium an der TH Ingolstadt drauf, schrieb ihre Bachelor-Arbeit bei der MAN Truck & Bus AG und arbeitet inzwischen als Trainee beim Landmaschinenkonzern CLAAS. Statt Konstruktion hat sie den Schwerpunkt Produktion gewählt –und in den vergangenen 21 Monaten stand sie genauso am Montageband der Mähdrescher wie sie an Optimierungsprojekten für deren Produktionsablauf mitgearbeitet hat. Diese Kombination ist es, die der Ingenieurin so gut gefällt: „Ich finde es toll, dass ich nah am Produkt arbeite und einen Bezug zu den Mähdreschern habe. Genau das hatte mich auch am Wirtschaftsingenieurwesen gereizt: Dass ich Konstruktion und Produktion von Maschinen kennenlerne, dabei aber auch die Wirtschaftlichkeit im Blick habe. Es ist heute wichtiger denn je, auf die Kosten und damit die Machbarkeit zu achten.“
Dass Birnkammerer dabei hauptsächlich von Männern umgeben ist, stört sie übrigens gar nicht. „Ich finde die Arbeitsatmosphäre unter Männern meistens angenehm“, sagt sie. „Klar, es werden in der Werkstatt auch mal Frauenwitze gemacht. Da kann man dann mitlachen oder weghören.“ Kathrin Geiger, Doktorandin bei BMW, findet, dass sich die Stereotype von Frauen und Männern in der Tech-Szene längst gewandelt haben. Physiker, so sagt sie, hatten früher mal den Ruf, dass sie ständig mit ihrer hässlichen Brille vor einem Rechner saßen und wenig kommunikativ waren. „Heute sind es oft die coolsten Typen überhaupt, die total vernetzt sind.“
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