Wer als Berater Lösungen für Kunden entwickelt, arbeitet nicht in einer Black Box. Bedingt durch die Digitalisierung, wollen Kunden heute mehr denn je wissen, wo ein Ratschlag herkommt. Wer eine Karriere als Unternehmensberater anstrebt, muss sich auf einen Kulturwandel einstellen – und das erfordert neue Skills, die man so kaum im Studium lernt.
Die Unternehmensberatung der Zukunft ist digital
Wenn Jonathan Günak Kunden berät, sieht das häufig gar nicht beratend aus. Seite an Seite mit Managern hüpft er dann um Whiteboards, moderiert, skizziert Lösungsansätze auf Post-its oder entwickelt Prototypen, um Hypothesen direkt mit dem Kunden zu testen. Zwar arbeitet der junge Berater bei Roland Berger, einer stolzen deutschen Unternehmensberatung mit einer 50-jährigen Vergangenheit. Gleichzeitig gehört Günak aber innerhalb des Unternehmens zur Fachabteilung Digitalisierung – und alle, die dort arbeiten, sind so etwas wie die „jungen Wilden“ bei Roland Berger.
Unternehmensberater werden von Kunden um Rat gefragt, wenn sie Hilfestellung von außen brauchen, und das hängt immer häufiger mit Digitalisierung zusammen. Uber hat den Taximarkt durcheinandergewirbelt, AirBnB die Hotelbranche ins Schwitzen gebracht und Apple den traditionellen Mobiltelefonhersteller Nokia ins Aus befördert. Aus diesem Stoff sind die Alpträume von Konzern-Vorständen gemacht – niemand will das nächste Opfer der Digitalisierung sein.
Digitalisierung als Mittel und Lösung
Berater wie Günak sollen Unternehmen aufzeigen, was „the next big thing“ sein wird. „Ein führender Finanzdienstleister wollte die Unterstützung von unserem Team bei der Digitalisierung seiner Kundenschnittstelle“, erzählt der 28-Jährige. Mit einem fünfköpfigen Beraterteam ist er daraufhin zum Kunden aufgebrochen. Um den digitalen Alltag junger Menschen zu verstehen, haben die Berater zunächst eine User Journey angefertigt. „Das bedeutet nachzuzeichnen, welche Berührungspunkte junge Menschen heute mit der digitalen Welt haben – vom Aufstehen bis zum Schlafengehen“, so Günak. Anschließend haben die Berater eine Benchmarkanalyse vorgelegt, also verglichen, was die Mitbewerber so machen, um anschließend die Möglichkeiten für den Finanzdienstleister zu beleuchten.
Unternehmensberatungen müssen flexibel und anpassungsfähig sein
Nicht nur bei Roland Berger, auch bei EY, McKinsey & Company oder Bain & Company sind digitale Elemente immer häufiger ein wichtiger Teil der Lösung, die dem Kunden angeboten wird. Günak geht aber noch einen Schritt weiter: „Digitalisierung ist ein kompletter Kulturwandel.“ Wer mit Start-ups mithalten will, muss sich ein stückweit wie ein Start-up verhalten. Dazu gehören der Abbau von Hierarchien und das Benutzen von neuen Kreativtechniken. Deshalb bezieht Günak den Kunden intensiv ein und zeigt ihm all die modernen Tools, die einst im Silicon Valley entwickelt wurden – und heute vor allem in Start-ups Anwendung finden.
Scheitern erwünscht
Design Thinking beispielsweise ist eines dieser Tools, eine Innovationsmethode, welche die junge Agentur Journey2Creation aus Berlin zur Beratung nutzt. Design Thinking bringt ein Grundverständnis mit sich, wonach Scheitern ausdrücklich erwünscht ist, ungewöhnliche Ideen gefördert werden und Menschen nicht gegeneinander, sondern miteinander arbeiten sollen. Statt dicken Luxusschlitten findet man vor dem J2C-Büro Fixi-Fahrräder, statt schwerer Eichenholz-Schreibtische gibt es einen hellen Präsentationsraum, dessen Inneres mit Hilfe von Sperrholz-Platten in ein Piratenschiff verwandelt wurde. Was ist nur aus der finanzschweren Beratungsbranche von früher geworden?
Der Berater, dein Freund und Helfer
„Wir empfinden uns gar nicht als Berater", sagt Lucas Licht, der J2C vor einigen Jahren gemeinsam mit Absolventen der Potsdamer „School of Design Thinking“ gegründet hat. „Wir sind Coaches, die gemeinsam mit dem Kunden aus diesem das Beste zu Tage fördern.“ Licht findet die Vorstellung, einem Kunden zu erklären, was er in seinem Unternehmen ändern soll, absurd. „Fachwissen, das Unternehmen teils über Generationen aufgebaut haben, kann ich doch nicht innerhalb eines kurzen Beratungszeitraumes aufholen“, meint Licht. Stattdessen öffnen Coachings von J2C dem Kunden Möglichkeitsräume, selbst herauszufinden, wie er sich weiterentwickeln kann.
„Mal bringen wir Manager zum ersten Mal in ihrem Leben in Kontakt mit ihrem Kunden, mal testen wir, wie der Büroalltag mit flachen Hierarchien aussehen könnte und mal entwickeln wir Umgebungen, in denen Mitarbeiter ohne Druck eigene Ideen verfolgen können“, beschreibt er seine Coaching-Ansätze. In der Beratung stellt J2C eigene Methoden vor, bringt sie dem Kunden bei und entwickelt sie mit diesem weiter. Solche Erlebnisse, da ist der Berliner überzeugt, würden nachhaltig Unternehmenskultur von innen verändern – und den Kunden auf lange Sicht in die Lage versetzen, selbst digitale Trends zu entdecken.
Einfach mal machen
Licht und seine rund 20 Mitstreiter von J2C sind ein Beispiel von einer wachsenden Zahl an Beratungsagenturen, die sich auf Methoden zur nachhaltigen Unternehmenstransformation spezialisiert haben. Gerade in den Bereichen Design Thinking, Systemische Beratung oder Agil Management gibt es eine Vielzahl an jungen Agenturen, in denen Quereinsteiger gute Chancen haben. Licht selbst hat Medienwissenschaften und Philosophie studiert, bevor er die Design Thinking-Weiterbildung in Potsdam absolviert hat. „Mit meinen Freunden von dort wollte ich gerne diese kreative und gleichzeitig zielgerichtete Arbeitsweise fortführen“, erinnert sich der 32-Jährige. „Also haben wir die Agentur gegründet.“ Bis heute ist die Szene eine große Familie, neue Bewerber findet Licht oft in Alumni-Netzwerken oder im Freundeskreis.
Quereinsteiger bringen frische Ideen
Auch Günak war mal ein Quereinsteiger. Ursprünglich hat er Jazz-Musik studiert, sich dann aber mit einem Studium an der European Business School in Oestrich-Winkel sehr schnell auf Wirtschaftsthemen fokussiert und auch in der studentischen Unternehmensberatung mitgearbeitet. Nach dieser Praxiserfahrung war Günak klar, dass er weiter im Berater-Business bleiben will. „Zu Digitalisierungsthemen beraten finde ich deshalb so spannend, weil man am Puls der Zeit ist“, sagt Günak. Er genießt es, bei Roland Berger zu den „jungen Wilden“ zu gehören. Aber auch eher traditionelle Beraterkollegen mit Schwerpunkten wie Restrukturierungsberatung orientieren sich mehr und mehr an den neuen Methoden. Wer weiß: Vielleicht sind Hersteller von Luxusschlitten und Eichenholz-Schreibtischen die nächsten, die ihr Geschäftsmodell überdenken müssen.
Die Digitalisierung hat auch die Beraterbranche fest im Griff.