Studierenden wird allzu häufig attestiert, sie seien nicht in der Lage, angemessene E-Mails an ihre Dozenten zu schreiben. Viel zu schnell wird die Sprachverfallskeule geschwungen. Keine Frage – jeder Lehrende kennt diese Mails, aber sie sind die Ausnahme. Umgekehrt sind viele Studierende unsicher, wie so eine angemessene E-Mail auszusehen hat.
Um es gleich vorwegzunehmen: Sprachregelungen, Formulierungsmuster oder gar ein gültiges Patentrezept für die „richtige“ oder „perfekte“ E-Mail gibt es nicht. Eine sprachliche Äußerung – egal, ob mündlich oder schriftlich – ist von sehr vielen Faktoren geprägt. Auch sind die Gepflogenheiten in den unterschiedlichen Fachrichtungen recht verschieden.
Das kommunikative Ziel sollte daher eher sein, eine angemessene E-Mail als die richtige E-Mail zu schreiben. Wenn die Anrede an einen Prof „sghp“ lautet, dann wird man wohl sagen müssen, dass hier die orthographischen Normen nicht eingehalten wurden und es sich folglich nicht um eine richtige Anrede handelt. Wenn der Prof aber explizit in Lehrveranstaltungen darauf hinweist, dass er genau mit dieser Anrede per Mail angesprochen werden möchte (Und das hat sich tatsächlich so zugetragen!), anstelle des seiner Meinung nach viel zu umständlichen „Sehr geehrter Herr Professor“, ist das sehr wohl angemessen. Es gibt also adressatenabhängige Präferenzen und Abneigungen und gerade sie sind es, die die Unsicherheit bei Studierenden befeuern.
Das Ziel ‚erfolgreiche Kommunikation‘ erreicht man am wahrscheinlichsten, wenn die E-Mail die Angemessenheitskriterien des Empfängers erfüllt. Stellt man sich folgende Fragen, tut sie das in der Regel:
1. Ist meine E-Mail angemessen in Bezug auf den Sachverhalt? Ich sollte meinen Prof also nicht unbedingt um Beziehungstipps bitten. ;)
2. Ist meine E-Mail angemessen hinsichtlich des Adressaten? Wie gut kenne ich den Lehrenden? Gerade beim Erstkontakt ist eine förmlichere Anrede wahrscheinlich konfliktärmer als ein informelles „Tachchen“ und auch die sehnsüchtig anmutende Verabschiedung „Bis hoffentlich sehr bald“ weckt Assoziationen, die eher im Privaten zu verorten sind. Gerade weil es für die geschriebene und gesprochene Kommunikation eigene Anrede- und Verabschiedungsformeln gibt, kann eine Übertragung in das jeweils andere Medium Angemessenheitskriterien verletzen. Ebenso wie in der Face-to-Face-Kommunikation die Anrede mit „Sehr geehrte/r Herr/Frau “ unangemessen ist, stellt die Begrüßung „Tag“ in der E-Mail eine Abweichung von der Norm dar.
3. Ist die E-Mail angemessen in Hinblick auf die Situation? Hierzu gehört auch die Medienwahl. Ist mein Anliegen tatsächlich geeignet, um es per Mail zu klären, oder lässt sich die Seminararbeit nicht viel eher in der Sprechstunde besprechen? Wenn in der Antwort-Mail eine ausführliche Auseinandersetzung erwartet wird, ist der Gang in die Sprechstunde das Mittel der Wahl. Zu dieser Form der Angemessenheit gehört auch der Zeitpunkt. An Sonn- und Feiertagen würde man kaum seinen Professor anrufen, eine E-Mail hingegen wird durchaus versendet. Man sollte aber nicht davon ausgehen, dass die Mail auch sofort gelesen und beantwortet wird. Das impliziert nämlich die Erwartung des 24/7-Profs, worauf schon mal empfindlich reagiert werden kann. Die Verabschiedung „Gute Nacht“ scheidet damit folglich aus.
Die E-Mail „ich kann morgen leider nicht kommen, weil ich hab praktische fahrprüfung. Tut mir echt voll leid. lg thomas schmidt“ ist demnach zwar in Bezug auf den Kommunikationsanlass ‚Seminarabsage‘ angemessen, hinsichtlich des Gegenstandes und Empfängers aber irritierend.
Grundsätzlich sollte man sich bei der Medienwahl bewusst machen, dass die Spielräume für angemessene Kommunikation via E-Mail kleiner sind als im persönlichen Gespräch. Weil die im Gespräch vorhandenen nonverbalen Kanäle (Mimik, Gestik etc.) fehlen, richtet sich die Aufmerksamkeit ausschließlich auf den Inhalt – das, was schwarz auf weiß geschrieben steht. Der eine toleriert Tippfehler, der andere interpretiert sie als Zeichen von Schludrigkeit, mangelnder Wertschätzung oder Defiziten in der Rechtschreibkompetenz.
Und schließlich lohnt beim Verfassen der E-Mail an den Prof die Überlegung, was in meiner Rolle als Studierender überhaupt sagbar ist. Formulieren Studierende „Geben Sie mir einen Termin am nächsten Dienstag“, können sie davon ausgehen, dass der Adressat höchstwahrscheinlich verärgert oder mindestens irritiert reagiert, denn Anweisungen werden in hierarchischen Systemen – und damit haben wir es an einer deutschen Universität unbestritten zu tun – von oben nach unten kommuniziert. Vielleicht liegt darin das Geheimnis einer angemessenen Studierenden-Mail: Institutionelle Rolle und hierarchischer Status sollten zumindest beim Erstkontakt sprachlich sichtbar werden. Fällt die Antwort des Lehrenden weniger formell aus, kann man sich dem recht sorglos anpassen.
Auch wenn die hier gewählten Beispiele suggerieren, Studierende könnten sich gegenüber ihren Lehrenden nicht angemessen ausdrücken: Wir können aufatmen – das ist mitnichten der Fall. Der Großteil ist sehr wohl in der Lage, eine angemessene E-Mail zu formulieren. Nur bleiben die „Ausreißer“ einfach länger im Gedächtnis, weil sie irritieren oder im besten Fall belustigen.
Gesammelte Stilblüten
Liebe Frau Nachname,
ich werde Ihnen am Sonntag die aktuellen Folien schicken, da ich zur Zeit
zu Hause in Neustrelitz bin und die Folien auf dem anderen Rechner sind.
Wir waren gestern beim Konzert von Metallica in Leipzig und da war der
Rückweg nach Neustrelitz nicht ganz so weit.
Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende!
Vorname Nachname
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Guten Abend!
Ich wollte mich nur noch einmal melden, um ihnen mitzuteilen, dass ich morgen oder übermorgen meine Thesen an sie senden werde. Vielen Dank nochmal für ihre Hinweise.
Ich freue mich schon sehr auf die Prüfung am 30gsten.
Einen schönen Abend noch!
Vorname Nachname
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Eine gute Nacht wünsche ich noch!
Ihr
Vorname Nachname
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Sehr geehrte Frau Nachname,
es wäre sehr nett und entgegenkommend von Ihnen, wenn Sie die Folien für
das Thema "Semantik" auf Ihre Seite stellen würden. Vielen Dank und
gute Besserung.
Mit freundlichen Grüßen.
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frau nachname - sie sind mein held!
besten dank :)
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Sehr geehrte Frau Nachname,
seien Sie sich meines außerordentlichen Dankes gewiß!
Indes sende ich Ihnen die besten Grüße,
Vorname Nachname
Studierenden wird allzu häufig attestiert, sie seien nicht in der Lage, angemessene E-Mails an ihre Dozenten zu schreiben. Viel zu schnell wird die Sprachverfallskeule geschwungen. Keine Frage – jeder Lehrende kennt diese Mails, aber sie sind die Ausnahme. Umgekehrt sind viele Studierende unsicher, wie so eine angemessene E-Mail auszusehen hat.