Interview : Rüdiger ‘Rüde’ Linhof von Sportfreunde Stiller
»Das Studium hat mich total gepackt. Aber nicht mehr als die Musik.«
Eine Art ‘Liebeskummer’ befiel Rüde, als er Peter und Flo Ende der 90er Jahre das erste Mal auf der Bühne sah. Mit denen wollte er unbedingt Musik machen. Eine paar Monate und frustrierende Band-Castings später führte sie der Zufall in einer Münchner Eisdiele zusammen. Nach vier Tagen das erste gemeinsame Konzert, et voilà: Der Startschuss für die Sportfreunde Stiller war gefallen. Von der Musik leben konnte damals, vor 17 Jahren, freilich noch keiner. Hobbymusizierende Studenten waren sie, verbrachten neben Tonstudio und Proberaum viel Zeit in den Hörsälen der Ludwig-Maximilians-Universität München (Peter und Flo) und der Hochschule für Politik München (Rüde). Lehramt Sport/Latein, Sport- und Politikwissenschaft stand in ihren Studentenausweisen. Das Ende vom Lied: Einer hat das Studium durchgezogen, einer hat die Abschlussprüfung verschlafen, einer hat abgebrochen.
UNIGLOBALE: Wann habt Ihr eine Uni das letzte Mal von innen gesehen?
Rüde: Das war 2009 bei den Studentenprotesten an der LMU. Toll, mal wieder dagewesen zu sein. Gerade zu diesem Zeitpunkt mit regen Diskussionen über Studiengebühren usw. Mit den Studenten über bildungspolitische Themen zu sprechen und zu sehen, mit welchem Willen zur Veränderung sich die Leute dort engagiert haben, war sehr inspirierend. Nach der Uni werden die Menschen ja schnell zu Einzelkämpfern und es gibt nicht mehr so diese Interessensgruppierungen. Aber an der Uni verschmilzt die Energie noch zu einem Ziel. Und letztendlich hat es ja auch was gebracht: Ab dem Wintersemester 2014/14 gibt’s in Bayern keine Studiengebühren mehr. Es lohnt also immer, sich zu wehren.
UNIGLOBALE: Als es mit den Sportfreunden ernst wurde, warst du gerade im dritten Semester deines Politikstudiums. Was hat dich daran gereizt?
Rüde: Für Politik habe ich mich schon seit meiner Jugend stark interessiert, war in politischen Arbeitskreisen, war mit meinen Freunden immer rege am diskutieren und demonstrieren. Da war das ein logischer Schluss.
UNIGLOBALE: Was für ein Studententyp warst du – der Diskussionswütige oder eher der stille Beobachter?
Rüde: Ich hab’s mir immer total interessiert angehört, war aber nie derjenige, der ständig seinen Finger hebt. Das fand ich immer komisch, mich vor so vielen Leuten zu äußern. Ich hatte auch immer Probleme mit Referaten und habe die Leute bewundert, die sich da vorne entspannt hingestellt und in freier Rede einen Vortrag gehalten haben. Da habe ich mir als Bandmusiker ja echt den richtigen Job ausgesucht
UNIGLOBALE: Wie hast du dich während des Studiums finanziert?
Rüde: Ich habe nachts in einer Bar gearbeitet. Schlafen, arbeiten, studieren, auf Prüfungen vorbereiten, Musik machen, feiern – ich war rund um die Uhr beschäftigt. Sämtliche Zeitfenster wurden genutzt, um noch irgendwie zu lernen.
UNIGLOBALE: Hörsaal vs. Tonstudio – letztendlich hast du dein Studium jedoch abgebrochen.
Rüde: Politische Philosophie, europäische Geschichte, Volkswirtschaft – fand ich absolut spannend. Das Studium hat mich total gepackt. Aber nicht mehr als die Musik. Ich war mit Peter und Flo viel auf Tour. Die Euphorie darüber hat mich bis in den Hörsaal begleitet. Und mich dann von meinem Ursprungsplan abgebracht.
UNIGLOBALE: Somit ist Flo der einzige Sportfreund mit Studienabschluss?
Rüde: Ja, Flo hat sein Sportstudium während einer Tour beendet. Der ist so ein Typ, der das gepackt, der nachts im Studio oder Tourbus seine Diplomarbeit schreibt. Peter hat Sport und Latein auf Lehramt studiert. Für seine letzte Latein-Prüfung ist er extra vom Studio in Spanien zurück nach München geflogen. Zuhause angekommen, hat er seine Tasche abgelegt, sich kurz aufs Sofa gesetzt – und ist eingepennt. Das war das Ende seines Studiums.
UNIGLOBALE: Wenn du auf dein Studentenleben und deine Entscheidung zum Studienabbruch zurückblickst: Sollte man vielleicht nicht immer nur auf die Vernunft hören, sondern manchmal auch einen Schlenker im Lebenslauf riskieren?
Rüde: Ich verstehe total diesen heutigen Druck, einen möglichst perfekten Lebenslauf hinzulegen. Aber in der Rückschau bin ich persönlich extrem froh, dass ich so viel unterwegs war und ausprobiert habe. Die Studentenzeit ist ein ganz besonderer Abschnitt, eine Zeit des Suchens und Lernens. Sich selbst finden auf Reisen, andere Kulturen und Ideen kennenlernen, das Studentenleben ausgiebig mitnehmen, wilde Gelage und Knutschereien. Wer von Anfang an nur auf die Karriere schaut und auf das hört, was der Berufsberater sagt, wird sich irgendwann fragen: »Was habe ich eigentlich für mich gemacht?« Glück kommt nicht durch Geld allein. Letztlich ist es die beste Entscheidung, etwas zu finden, dem man sich total verschreiben kann und darin Vollgas zu geben. Dann bringt man es auch zu etwas.
UNIGLOBALE: Wenn aus der Musikerkarriere nix geworden wäre: Hättest du zu Ende studiert?
Rüde: Auf jeden Fall. Danach hätte ich wahrscheinlich noch ein Wirtschaftsstudium drangehängt. Vielleicht BWL, um einfach das Organisieren zu lernen. Damit hätte ich mich dann wohl intensiv und professionell einem sozialen Projekt gewidmet.
UNIGLOBALE: 17 Jahre dauert eure Bandgeschichte jetzt schon an, ein Stückweit seid ihr zusammen erwachsen geworden. Wie hast du das empfunden, dieses Erwachsenwerden?
Rüde: Ich hatte nie das Gefühl, ich muss eine bestimmte gesellschaftliche Norm erfüllen. Einer der Luxusaspekte meines Jobs. Ab einem bestimmten Zeitpunkt dachte ich jedoch, ich müsste an mir etwas verändern: meine Haltung bestimmten Dingen gegenüber, meinen Arbeitsfluss, meinen Output und den Umgang mit anderen Menschen. Vielleicht einem Typen, der viel größer ist als ich, auch mal zu sagen: “Hey, so läuft das nicht!” Weiterentwicklung ist wichtig, aber nicht aus einem gesellschaftlichen Zwang heraus.
UNIGLOBALE: Auf dem neuen Album gebt ihr euren Fans einiges mit auf den Weg. Zum Beispiel im Song “Festungen und Burgen”, ein musikalisch ruhiger Aufruf, seine Sorgen und Gedanken mitzuteilen.
Rüde: Persönliche Verletzungen und Schmerzen, die man im Leben mit sich trägt, sind Themen, die wir noch nie behandelt haben. Solche Dinge werden immer größer und bremsen ungemein, vor allem je länger man damit hinterm Berg hält. Deshalb: Sich stellen, darüberreden und Dinge aus der Welt schaffen!
UNIGLOBALE: In “Hymne auf dich” geht es dem weitverbreiteten Selbstzweifel an den Kragen…
Rüde: Viele meiner Freunde sind Zweifler, machen Dinge und ihre Jobs wahnsinnig gut, bekommen danach aber gleich wieder höhere Planziele. Das erzeugt ständig Unzufriedenheit, Stess mit sich selbst und mit den Ansprüchen von außen. So verliert man irgendwann den Stolz auf sich und seine Arbeit. Deshalb: Feiere dich ruhig ab und zu mal selbst! Und sage dir, wenn du am Computer sitzt: “Eh, das ist so geil, was ich hier gemacht habe!” Ich höre sowas total gerne. “Ja, es geht so” ist hingegen der totale Scheiß. Stolz auf sich sein und mal Höhenflüge bekommen – das kann auch inspirierend sein.
UNIGLOBALE: Thema Internet: Eine Woche offline – easy oder unerträglich?
Rüde: Mein Smartphone ist seit zwei Monaten kaputt und es ist erstaunlich, dass es mir total wurscht ist. Ich genieße es sogar irgendwie und bin total froh, dass ich im Moment z. B. diese Push-E-Mail-Funktion nicht mehr habe. Die ganze Zeit habe ich nur noch nach E-Mails geschaut. Das hat mir meine Ruhe genommen. Trotzdem sind Smartphones und Co. natürlich total cool und ich möchte das auch nicht mehr missen.
UNIGLOBALE: Nur ab und zu mal Urlaub davon…
Rüde: Ja, aber andererseits sind wir teilweise so krank, dass wir zu dritt am Tisch sitzen – jeder seinen Laptop vor sich – und uns E-Mails schreiben. Zu Spitzenzeiten, backstage auf Tour. Wenn sozial nichts mehr geht. Dann hängen wir ganz schön an der Nadel bzw. am Netz.
UNIGLOBALE: Wie schauts mit dem Fankontakt über soziale Netzwerke aus?
Rüde: Facebook-Kommentare lese ich schon, aber die Zeit, mich intensiv damit zu beschäftigen, habe ich nicht. Und letztendlich auch nicht die Lust. Ich kann das irgendwie nicht, diese Art zu kommunuzieren. Klar, skypen mit Freunde. Aber Facebook – das gibt mir nichts. Ich habe manchmal das Gefühl, das sich heutzutage vieles um Selbstvermarktung bzw. Selbst-PR dreht. Das Internet, die ganze Kommunikation läuft ja auf Optimierung und ein möglichst perfektes Profil hinaus. Da ist mir die persönliche Begegnung nach dem Konzert auf jeden Fall lieber.
„New York, Rio, Rosenheim“ heißt das aktuelle und mittlerweile sechste Studioalbum der Sportfreunde Stiller. Liebe und Freundschaft, Absagen an Einzelkämpfertum und Selbstzweifel sind einige Themen der zwölf Tracks.
An alle Fans: Wir verlosen drei Vinyl-LPs (inkl. MP3-Downloadcode)! Teilnahme-Qualifikation: Auf www.facebook.com/Uniglobale einfach eine Nachricht an uns senden.
Weitere Infos und Tourtermine unter www.sportfreunde-stiller.de
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