Wenn die Liebe einzieht
Wohngemeinschaften sind die Immobilie gewordene Entsprechung der Generation Praktikum: Wir haben kaum Geld, können uns allein keine Miete leisten, also teilen wir sie – manchmal jedoch mit mehr Leuten als gedacht: Pärchen in der WG – funktioniert das? Ein Plädoyer für Liebe in allen Immobilien.
Du kommst nach Hause. Nach traditionellen Maßstäben hast du heute vielleicht noch nicht viel gemacht. Du warst an der Uni, ein Seminar hier, ein Bier in einer Bar da, dann noch eines in einer anderen, aber warum auch nicht? Du bist jung und das Leben ist Ansichtssache. Du bist umgeben von größtenteils netten Menschen, die Spießer sind die anderen, man ist in der Regel Single und ‚jeder mit jedem’ erlebt ein Comeback. Liebe ist eigentlich auch nur eine Konvention, alles nur Biochemie. Nur deine Mitbewohnerin scheint das gekonnt zu verdrängen….
Du kommst also nach Hause in deine schnucklige, kleine WG, Tempel der Zwanglosigkeit, mit knarzendem Holzboden und Pfandflaschen auf dem Balkon. Und dann ist da dieser Geruch. Du gehst in die Küche und tatsächlich: Saltimbocca alla romana. Am Tisch sitzt deine coole Mitbewohnerin mit Kurzhaarfrisur und Tattoos und zerdrückt Avocados. Neben ihr sitzt ihr Freund, dieser Wicht: selbes Konzept wie sie, nur mit Vollbart. Auch er Avocados zerdrückend. Sie kochen zusammen. Zum gottverdammten vierten Mal diese Woche! Gestern gab es Couscous! Und du möchtest hineinkotzen in diese Szene selbstgefälliger Instagram-Romantik!
»Aber, aber. Woher kommt dieser ungerechte Zorn?«, frage ich dich mit der Stimme eines weisen alten Wandermönches, »Hast du nicht selbst schon ungezählte Male Avocados mit deiner temporären großen Liebe zerdrückt? Und habt ihr dann nicht auch mit eurem geschäftigen Pärchenkochabend die ganze Küche besetzt? Während deine Mitbewohner sich irgendwie betrogen gefühlt haben durch euren Versuch, auf eine gemütliche Art erwachsen zu spielen und gleichzeitig in einer wilden, frechen WG ein wildes, freches Studentenleben zu leben? Während sie darüber getuschelt haben, dass dein/e Liebste/r eigentlich auch mal Miete zahlen könnte, so oft wie er eure 54 Quadratmeter Freiheit beehrt? Warst du nie ein ignoranter, kleiner Nestbauer?«
Nein? Ich auch nicht. Ich habe auch immer nur lässige Beziehungen gehabt, die eine Bereicherung für meine WG waren und wir haben beim Kochabend auch immer angeboten, dass die anderen was ab haben können, bevor wir mit dem Essen in mein Zimmer sind, um lieben Sex zu haben. Meine Wandermönchstimme ebbt erschöpft ab, du aber nickst einsichtig, begrüßt die beiden Verliebten und trinkst noch ein Bier mit ihnen. Pärchen in der WG – vielleicht sind sie doch nicht der Antichrist, wie von desillusionierten Singles oft vermutet.
Kabarettist und Autor Markus Henrik hat in seinem WG-Lexikon für jede Lebenslage im ‚demokratischen Mikrokosmos’ WG eine Lösung parat. Und wer könnte es besser wissen als der Experte, der selbst schon in 14 Wohngemeinschaften gelebt hat?
Laut ihm ist rechtzeitige Kommunikation alles: Ein neuer Partner, der oft in den geteilten vier Wänden zu Besuch ist oder gar einzieht, verändert das WG-Feeling – immerhin ist auch eine WG eine Art Beziehung, die im Idealfall emotionalen Rückhalt gibt und an der es zu arbeiten gilt. Diese Arbeit ist laut Experte aber ganz einfach: Mund aufmachen. Reden. Die eigenen Mitbewohner nicht vor vollendete Tatsachen oder unvollendeten Abwasch stellen, den man aufgrund des dreistündigen Liebesspiels auf dem Herd ganz vergessen hat. Wer dann noch als Teil eines Pärchens vorschlägt, sich an den Kosten zu beteiligen, ist bereits der beliebteste Mitbewohner, ohne ein Mitbewohner zu sein. ◆