IT-Projekte in China folgen eigenen Gesetzmäßigkeiten.
Sebastian Tschödrich von NTT DATA erzählt, wie er mit den Unwägbarkeiten im Reich der Mitte umgeht.
Eigentlich hatte sich Sebastian Tschödrich gut auf sein erstes Projekt in China vorbereitet. Nach einem interkulturellen Training, eigenen Recherchen, einem Stapel Ratgeberliteratur und Gesprächen mit Kollegen fühlte sich der 30-Jährige fi t für die neue Herausforderung. In Peking angekommen, drückte Tschödrich dem Taxifahrer ganz stolz einen Zettel mit der Anschrift des Hotels in die Hand, den ein chinesischer Kollege in gut lesbaren Schrift zeichen notiert hatte. Doch irgendwann wunderte er sich, dass der Fahrer scheinbar planlos durch die chinesische Metropole kurvte. Schnell war klar: Der Taxifahrer konnte nicht Lesen. Kurz entschlossen rief Tschödrich einen Mandarin sprechenden Kollegen an, hielt dem Fahrer das Mobiltelefon ans Ohr und ließ sich so auf direktem Weg zum Hotel kutschieren.
»Ich hatte einen abenteuerlichen Start«, erzählt der Senior Berater und lacht heute, drei Monate später, über diese Anekdote. Für seinen Arbeitgeber verantwortet er das Rollout eines großen Cloud CRM-Projekts für einen deutschen Premium Automobilhersteller in China. Inzwischen meistert Tschödrich einfache Alltagssituationen gut in der neuen Sprache. »Ich kann im Restaurant bestellen und einfache Dinge erklären. Bisher spanne ich meine chinesischen Kollegen als Sprachlehrer ein, doch ich habe mich auch für einen Sprachkurs angemeldet«, sagt Tschödrich. Mindestens bis zum Sommer bleibt der berufserfahrene Senior Berater noch in Peking, um die neue Soft ware in die IT-Landschaft des Kunden zu integrieren. Gerade bei internationalen Projekten ist es wichtig, auf die richtige Beraterexpertise zurückgreifen zu können. »Um unseren internationalen Kunden die bestmögliche Unterstützung bei der Implementierung von anspruchsvollen Lösungen zu bieten, verfolgen wir das Konzept der ‘Flying Squad’ – das heißt ein Kernteam von Experten mit Branchen- und Technologieexpertise fl iegt zu den Kunden vor Ort. Unser Ansatz ist: ‘Th ink global, deliver local’«, erklärt Christian Eißner, Vice President CRM Manufacturing für NTT DATA in Europa. Mehr als 80 IT-Berater zählt sein Team, zu dem auch Sebastian Tschödrich gehört.
Eißner kennt das internationale Projektgeschäft und war in der Anlaufphase des Projektes selbst vor Ort. »Gerade im Ramp-Up von internationalen Projekten ist es wichtig, dass wir uns als eingeschworenes Team den interkulturellen Herausforderungen stellen«, weiß Eißner. Gerade Zwischentöne im Arbeitsalltag können durch die nicht gemeinsame Sprache verloren gehen. „Für Europäer ist die chinesische Sprache eine große Herausforderung. Wir haben deshalb sämtliche Workshops mit lokalen Ressourcen auf Chinesisch durchgeführt, die durch chinesische Muttersprachler und auslandserfahrene Berater aus Deutschland unterstützt wurden. Dadurch erreichten wir einen Best Fit hinsichtlich Expertise und lokalem Verständnis.
Auslandserfahrung bringt Sebastian Tschödrich ebenfalls reichlich mit. Bereits als Gymnasiast verbrachte er sechs Monate an einer US-amerikanischen High-School, während seines Betriebswirtschaft sstudium an der Universität Augsburg legte er ein Auslandsemester in Indonesien ein und als Senior Berater arbeitete er sechs Monate für NTT DATA in Australien.
Tschödrich gefällt es in Peking. „Die Lernkurve ist hier einfach viel steiler als in Deutschland“, freut sich der 30-Jährige. Doch trotz seiner internationalen Erfahrung weiß der Senior Berater auch, dass Projekte in China anspruchsvoll sind. In einem Workshop zu Beginn besprach er zwar mit seinem Team das 1×1 der Projektarbeit, doch Tschödrich stellte schnell fest, dass viele Projekt-Management-Methoden zwar in Deutschland gut funktionieren, in Asien aber unbrauchbar sind.
Seine chinesischen Kollegen und Mitarbeitern kämen nie auf die Idee, offen Kritik zu äußern oder zu einzelnen Arbeitsschritten Fragen zu stellen, selbst wenn sie die Aufgabe nicht verstanden haben oder ihnen das nötige Wissen fehlt, um es umzusetzen. Tschödrich weiß, dass er niemanden offen kritisieren darf, denn das käme einer Bloßstellung gleich und würde das Projekt gefährden. Oft sind die chinesischen Mitarbeiter viel zu stolz um zuzugeben, dass sie einer Aufgabe nicht gewachsen sind. „Meinen deutschen Pragmatismus habe ich abgelegt. Heute wäge ich genau ab, wie ich Arbeitsaufträge verteile und überlege mir vorher, wie es beim Gegenüber ankommen könnte. Ich streue hier mehr Metaphern ein, da eine bilderreiche Sprache für die chinesischen Kollegen anschaulicher ist.‟ Indem sich der Senior Berater regelmäßig von seinen Mitarbeitern erzählen lässt, wie sie an eine Aufgabe rangehen weiß er schneller, ob sie auf dem richtigen Weg sind. „Außerdem sprechen wir regelmäßig auch kleinere Arbeitsschritte ab.“
Natürlich verlangt dieses behutsame Vorgehen eine große Portion Diplomatie, damit die engmaschige Kontrolle das Gegenüber nicht verunsichert. „Ich arbeite hier weniger inhaltlich sondern kümmere mich mehr um die Projektsteuerung‟, sagt Tschödrich. Zwar kostet das regelmäßige Nachfragen Zeit, doch gleichzeitig schützen diese Vorsichtsmaßnahmen den Senior Berater auch vor bösen Überraschungen. „Es gibt natürlich Zeitpuffer in der Projektplanung, doch diese benötigen wir auch.‟
Gleichzeitig sind die Erwartungen an ihn hoch. „Alle erwarten von mir, dass ich auf jede Frage eine Antwort weiß und dass alles reibungslos funktioniert‟, fasst er zusammen und ergänzt: „Alle waren überrascht, als ich einmal einen Fehler eingeräumt habe.‟ Die ersten drei Monaten in Peking verliefen für Tschödrich pannenfrei. Regelmäßig verabredet sich der junge Senior Berater nach Büroschluss mit seinen chinesischen Kollegen, fragt nach ausgefallenen Restaurants jenseits der Touristenpfade und probiert kulinarische Besonderheiten aus. „Ich gehe auf die Kollegen zu und interessiere mich für ihre Kultur. Anfangs waren sie zurückhaltend, doch inzwischen wissen sie, dass mein Interesse ehrlich ist und sie blühen richtig auf, mir ihre Stadt und Kultur näher zu bringen. Alle sind sehr hilfsbereit und kümmern sich besonders um uns Ausländer. Dieser persönliche Kontakt erleichtert auch die Zusammenarbeit.“
Auch Matthias Hanitsch weiß, wie wichtig Wertschätzung und ein persönliches Vertrauensverhältnis auf Managementebene sind. Gerade in China oder Japan brauche man als Unternehmen zwar Geduld, um die längeren Entscheidungswege zu akzeptieren, doch das schnellere Arbeitstempo während des Projekts mache solche Verzögerungen wieder wett. „Für die internationale IT-Beratung brauchen Mitarbeiter Fachwissen und Persönlichkeit. Das ist keine Aufgabe für Berufsanfänger“, sagt Hanitsch. Das Alter des Projektleiters spiele dagegen eine untergeordnete Rolle. Wichtiger sei, offen für Neues und rücksichtsvoll gegenüber einer ihm fremden Kultur zu sein. „Respekt im Projektteam muss man sich verdienen, das ist keine Frage des Alters.‟
Seit 2008 gehört das ehemals mittelständische Münchner Beratungsunternehmen Cirquent mit seinen 1200 Mitarbeitern zum global agierenden Konzern NTT DATA. 2012 verschwand auch der frühere Firmenname. Das japanische Technologieunternehmen beschäftigt weltweit rund 60.000 Mitarbeiter in 39 Ländern. Neben Asien und den USA gilt Europa als wichtiges Marktsegment. Die Analysten von Gartner positionierten NTT DATA auf Platz 6 ihrer Liste der weltweit größten IT-Service-Unternehmen.
Zu den Aufgaben von Uwe Kloos, Head of Human Resources und Organisation in Deutschland, Österreich und der Schweiz, gehört es, die Mitarbeiter auf die internationalen Aufgaben vorzubereiten. Gerade wenn Kollegen mit ihren Familien längere Zeit Deutschland verlassen, bedarf es einer umfassenden Planung und Unterstützung. Beträgt die Projektlaufzeit mehrere Monate, gibt es flexible „home-trip“ Vereinbarungen. „Wir bieten dann eine Mischung aus Arbeit und Urlaub an, indem wir beispielsweise die Besuche der Familie finanzieren‟, so Kloos und ergänzt: „Junge Mitarbeiter sehen mittlerweile internationale Aufgaben als selbstverständlich an.‟
Sebastian Tschödrich reiste allein nach Peking und nutzt die Wochenenden für Ausflüge. Hongkong, die chinesische Mauer oder die verbotene Stadt hat er schon besucht. Auch während der Arbeitswoche verlässt er nicht mehr als letzter das Büro. „Es hat ein paar Tage gedauert bis ich gemerkt habe, dass abends kein Mitarbeiter nach Hause geht, so lange ich noch im Büro bin‟, verrät er und ergänzt: „Manchmal arbeite ich noch vom Hotelzimmer aus, das merken die Mitarbeiter nicht und keiner verliert so sein Gesicht.‟
Sebastian Tschödrich stellte sich erfolgreich der Herausforderung China.
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