Sie leihen Staats- und Regierungschefs ihre Stimmen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sorgen dafür, dass Politiker und Diplomaten verstehen, was ihr Gegenüber sagt. Die EU beschäftigt eine Armada von Übersetzern und Dolmetschern. Wir haben einen von ihnen an seinem Arbeitsplatz getroffen.
»Qui est pour?«, fragt die Sitzungspräsidentin. »Wer ist dafür?«, sagt die Stimme aus dem Kopfhörer des Headsets, das viele hier tragen. Zahlreiche Arme im Saal gehen hoch. »Contre?«, fragt die Präsidentin. »Wer ist dagegen?«, fragt die Stimme aus dem Headset. Einige Arme heben sich. Aus der Sprecherkabine kann Tilmann Haak den Sitzungssaal des Europäischen Parlaments in Brüssel gut überblicken. Es ist unter anderem seine Stimme, die über das Headset ertönt, wenn man den Kanal mit der deutschen Übersetzung wählt. »Wer ist dafür?« Pause. »Wer ist dagegen?« Diese Sätze sagt der 34-Jährige während einer Schicht viele Male am Tag.
Tilmann Haak ist Dolmetscher im Dienste der EU. Englisch, Französisch, Spanisch und seit kurzer Zeit Litauisch – aus diesen Sprachen übersetzt er ins Deutsche. Er hat einen Dolmetscherstudiengang in Heidelberg absolviert, mit den Schwerpunkten Spanisch und Französisch. Man braucht einen Abschluss in zwei Sprachen, wenn man den Weg des Dolmetschers gehen will. Hilfreich ist es aber, wenn man noch einige mehr in petto hat. Für den gebürtigen Stuttgarter ist der Beruf sein Traumjob. »Das Schöne an dem Job ist die Mischung aus Routine und immer wieder Neuem. Das gilt vor allem für die Themen, die hier im Haus besprochen werden. Denn alle Politikbereiche, mit denen sich die EU befasst, kommen hier zur Sprache. Aber es gilt auch für alle meine Arbeitssprachen. Da lernt man immer Neues dazu. Daher glaube ich, dass ich den Job auch noch in 20 Jahren gerne machen werde«, sagt Tilmann Haak. An einem typischen Arbeitstag muss er zwei Sitzungen dolmetschen. Dreieinhalb Stunden am Vor- und am Nachmittag, vier Tage in der Woche. Hinzu kommt die Vorbereitungszeit. Manchmal sind die Themen einer Sitzung sehr technisch und brauchen viel Fachvokabular. Auch ein Profi-Dolmetscher beherrscht nicht jedes Wort, sondern muss sich zuweilen einlesen und immer auch vorbereiten. Zudem hängen die Arbeitszeiten von der Sitzungsdauer ab. Manche sind nach eine knappen Stunde zu Ende oder werden vertagt, andere dagegen ziehen sich und dauern bis in die Nacht.
Tilmann Haak arbeitet seit fünf Jahren für das Europäische Parlament. Er ist fest verbeamtet, viele Übersetzer und Dolmetscher arbeiten jedoch auch frei. Das Parlament besitzt drei Arbeitsorte: Brüssel, Straßburg und Luxemburg. Mindestens eine Woche pro Monat verbringt der Übersetzer daher in Straßburg oder Luxemburg. Und weil Diplomatie und Politik ohne Reisen nicht funktionieren, muss er zuweilen Politiker auch auf Auslandsreisen begleiten. Tilmann Haak ist viel auf Achse. 2013 war er in Chile, zweimal in Spanien, dreimal in Litauen und in Lettland.
Die EU unterstützt ihre Dolmetscher auch dabei, neue Sprachen zu lernen. 23 Sprachen werden im EU-Parlament verwendet, alle müssen abgedeckt werden. Tilmann Haak wird dieses Jahr mit Niederländisch anfangen. »Auf diesem Stand werde ich dann verharren«, lacht er. »Fünf Sprachen sind mir genug. Auch wenn es Kollegen gibt, die deutlich mehr Sprachen auch auf einem sehr hohen Niveau sprechen.« Übrigens sind die Übersetzer bei der Arbeit keine Einzelkämpfer. »Auch das ist Teamarbeit«, erklärt Tilmann Haak. »Man sitzt während der Debatten in der Sprecherkabine mit mindestens einem Kollegen. Manchmal sind wir auch drei oder vier. Das ist wichtig für die Arbeit und hilft. Wenn man beim Simultanübersetzen zum Beispiel mal ein Wort nicht weiß, drückt man einfach die Mute-Taste seines Mikrofons und kann dann den Kollegen neben sich schnell fragen.«
Dolmetscher sind keine Maschinen, sondern Menschen. Sie sorgen für Verständigung auf dem Parkett der Politik. Auch wenn man von ihnen nie viel Notiz nimmt: Der internationale Politikbetrieb käme ohne sie zum Erliegen. Politiker verstehen sich oft nicht; dass sie zumindest verstehen, was sie sagen, dafür sorgen Leute wie Tilmann Haak.
Ihr wollte mehr wissen zum Thema: Arbeiten bei der EU – wie geht das? Laura Tarragona-Sáez, Kommunikationschefin von EPSO, der EU-Personalbehörde, gibt im Interview wichtige Tipps.
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Sie leihen Staats- und Regierungschefs ihre Stimmen, im wahrsten Sinne des Wortes. Sie sorgen dafür, dass Politiker und Diplomaten verstehen, was ihr Gegenüber sagt. Die EU beschäftigt eine Armada von Übersetzern und Dolmetschern. Wir haben einen von ihnen an seinem Arbeitsplatz getroffen. »Qui est pour?«, fragt die Sitzungspräsidentin. »Wer ist dafür?«, sagt die Stimme aus