Im Fremdkörper: Auch die Natur ist nicht unfehlbar und weist dem tief im Inneren gefühlten Geschlecht manchmal die falsche Hülle zu. Für Transsexuelle ist die Angleichung eine nervenaufreibende Reise mit einem heißersehnten Ziel. Zwei Studierende erzählen davon via Blog und YouTube.
KEIN „GAY ADVANCED LEVEL 2”
von Evelyn Toma
Dass sie sich irgendwie anders fühlt, hat Felicia schon früh gemerkt. Sie war neidisch auf die Kleider ihrer Cousinen, sie war immer irgendwie unzufrieden mit ihrem Körper. Inzwischen studiert sie seit zwei Jahren Psychologie in Berlin. Als sie damit begonnen hat, hieß sie noch Felix und steckte im Körper eines jungen Mannes. Heute, mit 21 Jahren, befindet sie sich mitten in der Transition (= geschlechtsangleichender Prozess) und genießt es, endlich als die Frau wahrgenommen zu werden, die sie im Inneren schon immer war.
Familie und Freunde haben überwiegend positiv reagiert, als Felicia ihnen von ihrer weiblichen Identität erzählt hat. Trotzdem waren sie überrascht: „Viele haben davor eben noch nie davon gehört.“ Deshalb würde sie sich wünschen, dass schon Kinder lernen, dass es so etwas gibt. Sie hofft, dass sich so manche Menschen eine langjährige Selbstfindung und damit viel Leid ersparen können. Denn die Depressions- und auch Suizidraten bei Trans* sind sehr hoch. Einen Grund dafür sieht Felicia unter anderem darin, dass kaum über das Thema gesprochen wird. Um es selbst besser zu machen, hat sie mit Beginn ihrer Hormonbehandlung den Blog „Transformational Tomorrow“ ins Leben gerufen. Dort berichtet sie Schritt für Schritt von ihrer Reise zu sich selbst. Auch ihre Gedanken bei den vielen „ersten Malen“ schreibt sie dort nieder. Zum Beispiel, wie es war, das erste Mal einen BH kaufen zu gehen, mit Beratung und allem drum und dran.
Ihr Blog sei vor allem eine Informationsquelle – auch für Menschen, die nicht Trans* sind. Zum Beispiel erklärt Felicia, was an dem Satz „Also bist du ein Mann, der zur Frau wird“ nicht stimmt. Sie war schon immer eine Frau und ist jetzt eine Frau, die ihren Körper angleicht.
„Manche Leute denken, Transfrauen seien so etwas wie 'gay advanced level 2'. Also so superschwul, dass man schon eine Frau ist.“ Felicia lacht, denn auf Männer stand sie eigentlich noch nie. Der Blogtitel „Transformational Tomorrow“ klingt wie eine Zukunftsvision. Felicias Wunsch: Nicht mehr über ihr Geschlecht nachdenken zu müssen. Sie leidet nämlich unter Genderdysphorie, einem depressionsähnlichen Symptom, das bei Transmenschen sehr häufig vorkommt. Ursache dafür ist, dass man sich in seinem Körper nicht wohlfühlt, weil er nicht dem eigenen Geschlecht entspricht.
Eine Frau zu sein, ist – auch wenn heißersehnt – nicht immer schön. Es ist merkwürdig, wenn ihr Kerle auf den Hintern starren, sagt Felicia. Auch das Frauenprodukte im Drogeriemarkt teurer sind als solche für Männer fällt plötzlich auf. Sexismus wird wohl noch bewusster erlebt, wenn man beide Seiten kennt.
Ihren Taufnamen Felix trägt sie noch immer auf amtlichen Dokumenten, denn Geschlecht und Namen auf dem Papier ändern zu lassen kann in Deutschland bis zu zwei Jahre dauern. Ihren Dozenten hat sie daher eine E-Mail geschrieben und die Lage erklärt, um unangenehme Situationen zu vermeiden. Auch an der Uni setzt sich Felicia für Aufklärung und Unisextoiletten ein. Für solche Formen des Aktivismus will sie nach Abschluss ihrer Transition auch den Blog weiter nutzen.
ALS KERL ANGEKOMMEN
von Christiane Kürschner
Wenn Nikolai vor dem Spiegel steht, dann staunt er im Moment nicht schlecht darüber, wo überall Haare sprießen können. Da kann man sich schon einmal wie ein pubertierender Teenager fühlen. Schuld sind allein die Hormone – nur das Nick, wie er genannt wird, sie nicht selbst produziert, sondern vier Mal im Jahr gespritzt bekommt.
Vor drei Jahren hat Nick ein Bewerbungsvideo gedreht, um sich potentiellen Au-Pair-Familien in den USA vorzustellen. Darin war ein burschikoses Mädchen mit kupferroten Haaren zu sehen. Mit diesem ersten Video wurde der Grundstein für den YouTube-Kanal „YourFunnyMonkey“ gelegt. Seither kann dort jeder seinen Weg von Frau zu Mann miterleben.
Nach Boston ging der Architektur-Student noch äußerlich als Frau. „Die Kinder meiner Gastfamilie sprachen mich schon damals versehentlich mit ‚er’ an, obwohl sie von nichts wussten“, erzählt der 23-Jährige. Für ihn ein Zeichen, dass er merklich ausstrahlte, was er innerlich schon lange war. „Ich war schon immer ein Mann, aber es sich einzugestehen, ist ein langer Prozess“, erklärt er. „Es hat ein halbes Jahr gedauert, bis ich die Tatsache laut aussprechen konnte, ohne mich schlecht zu fühlen.“
In seinem Au-Pair-Jahr trifft er mit einem großen emotionalen und räumlichen Abstand zu seiner Heimat in Nordrhein-Westfalen die finale Entscheidung, als Mann leben zu wollen. Seine Gasteltern nehmen es gelassen, zurück in Deutschland startet er neu. Sein Leben beginnt mit dem Studium und einem Umzug nach Erfurt. Hier kennt niemand sein altes Ich. Er nimmt noch vor dem Semesterstart den Kontakt zur Hochschule auf. Gemeinsam mit der Verwaltung setzt er durch, von Beginn an unter seinem zukünftigen männlichen Vornamen in den Listen geführt zu werden. Alle, auch die Profs, waren der Situation gegenüber sehr offen, erzählt Nick.
Während des Studiums beginnt hat er mit der Hormontherapie. Nach und nach verändert sich der Körper, die Stimme wird tiefer, das Gesicht breiter und die Hüfte schmaler. „Mit jedem Monat mehr auf Testosteron wird Klamottenkaufen ein befriedigenderes Erlebnis“, berichtet Nick begeistert.
Mit viel Anstrengung zum neuen Ich
Auch seine Ausweise bescheinigen ihm mittlerweile seinen männlichen Namen, ebenso wie das männliche Geschlecht. Selbst die Geburtsurkunde wurde umgeschrieben. Doch all das passiert nicht über Nacht. Nick musste viele Anträge stellen und Untersuchungen über sich ergehen lassen. Es wurden Gutachten von Psychotherapeuten sowie Stellungnahmen von diversen Ärzten geschrieben, selbst eine gerichtliche Anhörung war von Nöten. Auch die lebenslange gegengeschlechtliche Hormontherapie musste von der Krankenkasse abgesegnet werden. Später wurde auch die Mastektomie – die Entfernung der weiblichen Brust – genehmigt. „Es tat gut, dafür zu kämpfen. Es war die beste Entscheidung meines Lebens“, sagt Nick über den langen und nervenaufreibenden Weg zu seinem männlichen Ich.
Sein neuer Freundeskreis in Erfurt kennt ihn nur als Nick. Nur er selbst merkt manchmal, dass er eben doch als Mädchen sozialisiert wurde. Wenn er allein unter Männern ist, fehlen ihm hin und wieder die nötigen Skills. Wie begrüßen sich eigentlich Jungs? Eine typische Situation, in der er unsicher wird. Mit einer einfachen Ghettofaust ist es längst nicht getan. Solche Dinge thematisiert er zum Beispiel auf seinem YouTube-Kanal.Vom Bewerbungsvideo für das Au-Pair-Jahr bis zum Vlog für Transgender-Fragen war es ein langer Weg. „Ich bin als Kerl angekommen“, sagt Nick.
Felicia und Nick erzählen via Blog und YouTube über ihre Transsexualität.