Vorweg erstmal ein Klischee: Wer viel Zeit mit Games verbringt lernt Nichts fürs Leben. Ob das nun so ist oder nicht sei dahingestellt. Tatsache ist, dass 97% der Jugendlichen über knapp 10.000 Stunden Games-Erfahrung verfügen, wenn sie ins Arbeitsleben einsteigen. Zum Vergleich: Wenn ein Fußballspieler seinen ersten Spieltag in der Bundesliga hat, hat er rund 10.000 Stunden Training hinter sich. Bill Gates hatte als er Microsoft gründete circa 10.000 Stunden Programmiererfahrung. Die Jugendlichen von heute sind also Games-Profis und haben kaum etwas so sehr trainiert, wie ihre Games-Fähigkeiten. Es stellt sich also vielmehr die Frage, wie sich die Arbeitswelt diese zu nutzen machen kann? Wie sie aus den über Jahre gelernten Fähigkeiten, direkten Feedbacksystem etc. das Beste machen kann? Was die Arbeitswelt von Games lernen kann? Aber auch, was sie sich besser nicht abgucken sollte.
Jeder der schon einmal ein Games gespielt hat, weiß welchen Ehrgeiz, welche Verbissenheit man entwickeln kann, wenn ein Level oder eine Aufgabe nicht direkt gelöst werden kann. Wie man sich schwört nur fünf Minuten Candy Crush zu spielen und dann drei Stunden später feststellt, dass man nur eben noch das eine Level zu Ende macht. Wie man die Zeit verliert, während man voll und ganz in ein Games eintaucht. Und sollte nicht genau dieses Gefühl auch maßgeblich für die tägliche Arbeit sein? Sollte man nicht auch am Schreibtisch voll und ganz die Zeit verlieren, während man sich einer Aufgabe stellt? Sollte man nicht auch dort aus Versehen viel mehr machen, als man eigentlich wollte?
Der Begriff Gamification behandelt genau diesen scheinbaren Spagat zwischen realer (Arbeits-) Welt und Games. Laut dem Wirtschaftslexikon Gabler ist es „die Übertragung spieltypischer Elemente und Vorgänge in spielfremde Zusammenhänge.“ Im Wesentlichen machen Games etwas schwieriger, als es sein müsste, dadurch dass man Hürden und künstliche Hindernisse einbaut und am Ende direkt eine Belohnung bekommt. Ein Badget, ein Smiley oder eine gesteigerte Punktzahl. Games haben ein direktes Feedbacksystem, man sieht bei Angry Birds sofort, ob man die Schweine getötet hat oder nicht. In der Arbeitswelt ist das anders, da kommt Feedback oft Wochen oder gar erst Monate später beim jährlichen Mitarbeitergespräch. Dann ist die Aktion meistens schon vollkommen in Vergessenheit geraten und der Lerneffekt dadurch ein viel geringerer.
Langsam übernehmen immer mehr Unternehmen genau diese Ansätze aus der Games-Welt. Sie gestalten die Arbeit spielerisch, locken mit kleinen Belohnungen und schüren so den Wettbewerb unter den Mitarbeitern. Erstellen Leaderboards und Ranglisten zu bestimmten Themen, bei welchen jeder sofort sehen kann, wie er im Vergleich zu den Kollegen abschneidet. Nebenbei kann die Personalabteilung die Stärken und Schwächen der einzelnen Mitarbeiter herausfinden.
Gamification mag nun wie der Heilige Gral der Personalführung klingen. Aber wie bei allen Dingen, gibt es auch hierbei zwei Seiten der Medaille. Forscher bei IBM haben festgestellt, dass Gamification auch negative Effekte haben kann. Manche Leute sind eher abgeschreckt, wenn sie die hohe Punktzahl, die vielen Belohnungen oder die Badgetssammlung ihrer Kollegen sehen. Sie wollen sich nicht mit den anderen messen und scheuen den Wettkampf. Nicht jeder ist ein Gamer und nicht jeder bringt das entsprechende Fähigkeiten-Portfolio mit, auf welches Gamification abzielt. Dafür aber wahrscheinlich andere Qualitäten, andere Fähigkeiten, die wichtig sind für ein Unternehmen. Kreativität zum Beispiel wird oftmals durch die vorgefertigten Bahnen einer von Games beeinflussten Arbeitswelt eingeschränkt. Denn Kreativität lässt sich nicht direkt messen, lässt sich nicht anhand harter Fakten belegen und somit schwer in ein auf Games beruhendes Belohnungssystem einordnen.
Idealerweise ist Gamification in der Arbeitswelt freiwillig. Genauso wie es in vielen Unternehmen den Mitarbeitern mittlerweile freigestellt ist, um wieviel Uhr sie anfangen zu arbeiten, ob sie Homeoffice machen oder nicht, sollte ein gamifizierter Arbeitsplatz die freie Entscheidung eines mündigen Mitarbeiters sein. Sollte jeder selbst entscheiden können, ob er gerne Sterne, Punkte oder Badgets sammeln möchte oder lieber nicht.
Die Jugendlichen von heute sind also Games-Profis und haben kaum etwas so sehr trainiert, wie ihre Games-Fähigkeiten. Es stellt sich also vielmehr die Frage, wie sich die Arbeitswelt diese zu nutzen machen kann? Wie sie aus den über Jahre gelernten Fähigkeiten, direkten Feedbacksystem etc. das Beste machen kann? Was die Arbeitswelt von Games lernen kann? Aber auch, was sie sich besser nicht abgucken sollte.