Das Ingenieurstudium ist gepflastert mit komplizierten Formeln und abstrakten Skizzen, doch das mühsam erworbene Wissen ist wertvoll. Zwei Studierende der RWTH Aachen setzen trockene Theorie schon während des Studiums praktisch um und tun dabei Gutes.
Übermorgen sitzt sie wieder im Flugzeug. Lässt zuerst Deutschland hinter sich, dann Europa, überfliegt die weiten Wüsten- und Savannenlandschaften Nordafrikas und nimmt schließlich Kurs auf Kigali. Ob es sich vertraut anfühlen wird? Immerhin legt Julia Bauer die gut 6.000 Kilometer Luftlinie zwischen ihrer Heimatstadt Aachen und der Hauptstadt Ruandas nicht zum ersten Mal zurück. Vor einem Jahr war die Studentin schon einmal in Ruanda. Nicht zum Urlaub machen – auch wenn ihre Reisevorlieben in eine ähnliche Richtung gehen. Damals leitete Julia – Kleidung für mehrere Wochen und ihr Ingenieurswissen im Gepäck – ein Brückenbauseminar. An der Technischen Hochschule, dem Kigali Institute of Science and Technology (KIST), vermittelte sie ruandischen Studierenden die Grundlagen zum Bau von Fußgängerbrücken. Denn was für Menschen in urbanen Zentren bisweilen so banal ist, dass man sie mit symbolischen Schlössern behängt, ist in den ländlichen Regionen von Entwicklungsländern Mangelware. Dabei sind Schulen, Krankenhäuser und Märkte oft kilometerweit entfernt; Umwege aufgrund der vielen Flüsse – in der Regenzeit reißende Ströme, denen mit Hilfskonstruktionen aus Baumstämmen nicht mehr beizukommen ist – erschweren den Alltag zusätzlich. »Dann ist man stundenlang unterwegs. Viele Menschen dort haben noch nie eine Brücke gesehen«, erzählt Julia. Entsprechend groß seien Neugierde und Motivation der Studierenden vor Ort. Schon während des Seminars planen und realisieren sie eigene Projekte. Julia und andere Freiwillige des Vereins Ingenieure ohne Grenzen unterstützen sie dabei. Wie kommt man dazu, sich ehrenamtlich für Hilfsprojekte in Afrika zu engagieren? Nach ihrem Bachelorabschluss in Wirtschaftsingenieurwesen an der RWTH Aachen war Julia während eines Auslandssemesters in Südkorea in vielen Regionen Sudostasiens unterwegs. »Es hat mich sehr beeindruckt, wie zufrieden die Menschen dort mit dem Wenigen leben, das sie haben. Da wurde mir bewusst, dass ich mit dem Wissen aus meinem Studium unheimlich viel bewegen kann.« Durch eine Freundin kam Julia schließlich zu ‚Ingenieure ohne Grenzen‘. Seit gut zehn Jahren leistet die Hilfsorganisation technische Unterstützung, um weltweit infrastrukturelle Grundbedürfnisse wie Zugang zu Wasser und Energieversorgung zu sichern. Im Mittelpunkt steht dabei auch die Zusammenarbeit mit der lokalen Bevolkerung. Unter den 700 aktiven Mitgliedern engagieren sich knapp ein Drittel Studierende. »Gerade bei Ingenieurswissenschaftlern ist das Interesse groß, weil sie bei uns die Möglichkeit haben, das Gelernte praktisch anzuwenden«, weiß Volker Eiselein. Er ist für die Presse und Öffentlichkeitsarbeit von Ingenieure ohne Grenzen verantwortlich, studiert hat er Technische Informatik. Denn obwohl der Name vor allem Bauingenieure anzieht, sind Studierende aller Fachrichtungen willkommen. Eine gute Gelegenheit, um einen ersten Einblick in die Vereinsarbeit zu bekommen, bieten die Regionalgruppen, die in vielen Universitätsstädten vertreten sind. Bleibt man dabei, belohnen Erfahrungen, die man im heimischen Hörsaal nie machen wurde: »Als wir die Vunga-Brücke in Nordruanda umgebaut haben, weil die Bevölkerung die Schwingungen der Seilbrücke bei starker Nutzung als beängstigend empfand, haben wir drei Monate ohne Strom und fließend Wasser mit den Menschen vor Ort gelebt. Abends sitzt man bei einem Bananenbier zusammen und hört Geschichten, die man nie mehr vergisst.« Wenn Christoph Winkler – Maschinenbauingenieur und mittlerweile im Tunnelbau tatig – von seinen Erlebnissen erzählt, kann man sich lebhaft vorstellen, was es für die Menschen vor Ort und ihn selbst bedeutet, in Sudindien eine Heizwasserversorgung einzurichten oder im Kongo potentielle Strasenbrückenbau-Projekte auszukundschaften. Wie Julia engagiert sich Christoph in der Kompetenzgruppe Brücken- und Hochbau. Die Kenntnisse aus seinem Studium in Deutschland, sagt Christoph, werden hier immer wieder neuen Proben unterzogen: »Die Herausforderung besteht darin, das technische Wissen unter einfachsten Bedingungen und mit geringsten Mitteln vor Ort umzusetzen. « Auch wenn beide in Sachen Organisation anderes gewöhnt sind, irgendwann gewöhne man sich auch daran und werde selbst gelassener. Wenn sich Julia dieses Mal für sieben Wochen nach Ruanda aufmacht, dann mit dem Ziel, die Brückenprojekte der letzen Jahre noch einmal unter die Lupe zu nehmen. Was lief gut, was schlecht? Welche Auswirkungen haben die Brücken auf das Leben der Menschen? Die Ergebnisse wird Julia in ihrer Masterarbeit darstellen. Wohin es sie danach beruflich verschlägt, hält sie sich offen. Gut möglich, dass Brücken eine Rolle spielen werden.
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