Die Pharma- und Chemiebranche wirkt oft etwas nerdig und wenig glamourös. Doch wer es als Absolvent schafft, hier Fuß zu fassen, kann sich nicht selten über viele internationale Erfahrungen, spannende Aufgaben und gutes Geld freuen.
Kürzlich besuchte ich einen Freund in einer deutschen Großstadt, wo er mir seinen Campus zeigte. »Hier sitzen die Pillendreher«, sagte er und deutete auf ein wenig schmuckes Gebäude aus Glas und Stahl. Ein Schild verkündete, dass in diesem Bau die Institute für Pharmazie und Pharmakologie säßen. Pillendreher, nerdige Wissenschaftler in weißen Kitteln, die nur dann das hochtechnisierte, sterile Labor verlassen, um Erlenmeyerkolben und Petrischalen in ein anderes zu tragen. Oder Chemiker, bei denen es auf den Institutsgängen nicht selten noch etwas merkwürdig vom letzten Versuch riecht. Was das Aussehen betrifft hat man oft unwillkürlich das Bild des »zerstreuten Professors« oder des »leicht wahnsinnigen Wissenschaftlers« aus Filmen und Romanen vor Augen. Geniale Charaktere, die verschiedene Stoffe zusammen mischen, sie über einem Bunsenbrenner erhitzen oder in einen Brutschrank stellen und am nächsten Tag entweder einen Segen für die Menschheit à la Penicillin oder eine tödliche Waffe à la Milzbrand in den Händen halten. Studierende dieser Wissenschaft werden schnell etwas belächelt – oder aber schwer beneidet. Denn Pharmawissenschaften und Chemie gehören mit zu dem Anspruchsvollsten, was eine Uni bieten kann. Seit Generationen scheitern zum Beispiel nicht wenige Medizinstudenten an derartigen Grundkursen. Daher nicht selten der Neid der Kommilitonen auf die, die Chemie kapieren. Denn ihnen steht eine weltweit agierende Branche offen, die mit vergleichsweise hohen Einstiegsgehältern, mit hochtechnisierter Forschung und Entwicklung sowie vielen weiteren Arbeitsgebieten lockt.
Gesucht: Hochqualifizierte Fachkräfte
Die chemisch-pharmazeutische Industrie ist der drittgrößte Branchenzweig in Deutschland. Ein Milliardenmarkt, weltweit gefragt und vernetzt. Die Unternehmen, die in diesem Sektor arbeiten, erforschen, verkaufen, produzieren und entwickeln in ihren Laboren und Chemieparks alles: von Schwefelsäure und Düngemittel über Farben und Kunststoffe bis hin zu Impfstoffen, Hustensäften und Pflegecremes. Genauso vielfältig wie die Produkte sind auch die Unternehmen. Fast jeder kennt die an der Börse gelisteten Weltkonzerne wie Bayer, BASF, Fresenius, Henkel oder Merck. Doch von den mehr als 2.000 Chemiebetrieben in Deutschland ist die Mehrheit mittelständisch geprägt. Laut Verband der Chemischen Industrie e. V. haben über 90 Prozent der Chemieunternehmen weniger als 500 Mitarbeiter. Sie sind oft Zulieferer oder Produzenten in bestimmten Nischen und dabei oft Weltmarktführer auf ihrem Gebiet.
Wirtschaftlich geht es der chemisch-pharmazeutischen Industrie sehr gut – und ist, damit dies so bleibt, in besonderer Weise auf hochqualifizierte, technisch-wissenschaftlich ausgebildete Fachkräfte angewiesen: Wissenschaftler, Ingenieure, ITler, Techniker und Facharbeiter. Jeder zehnte Mitarbeiter ist laut Zahlen des Branchenverbandes der Chemischen Industrie e. V. in Forschung und Entwicklung tätig. Obwohl beispielsweise laut Branchenverband noch kein Defizit an Nachwuchschemikern besteht, weil sich die Zahl der Studienanfänger im Fach Chemie an den Universitäten in den zurückliegenden Jahren insgesamt positiv entwickelt hat, ist die Angst vor einem drohenden Fachkräftemangel spürbar. 2014 stieg die Zahl neu immatrikulierter Chemiestudenten um drei Prozent auf rund 7.000 (2013: 6.800 Studienanfänger). Auch promovieren immer mehr Chemiestudenten. Bei den Masterstudiengängen haben viele Hochschulen gezielt fachliche Schwerpunkte und Akzente gesetzt, passgenau auf die Bedürfnisse der Industrien zugeschnitten. Dennoch stöhnt die Branche mit am lautesten darüber, dass sich viele Studenten und Absolventen im MINT-Bereich schwer tun. Wer sein Studium jedoch erfolgreich absolviert, kann sich über gute Einstellungschancen freuen.
Arbeiten - über Ländergrenzen hinweg
Anna Katzenmeier studierte Chemische Technik an der Hochschule Mannheim, schloss ihr Studium als Diplom-Ingenieurin ab und kam schon zu Unizeiten viel herum. So absolvierte sie zwei Praxissemester in der Pharma- und der Lebensmittelindustrie und schrieb ihre Diplomarbeit bei einem Dienstleister für Kernkraftwerke. Nach dem Studium fand Anna Katzenmeier eine Stelle als Asset Managerin bei BASF. »BASF genießt einen sehr guten Ruf und ist in der Region Rhein-Neckar ein renommierter Arbeitgeber. Ich arbeite in der Produktion und bin für die technische Betreuung einer Anlage zur Herstellung von Kunststoffen mitverantwortlich. Ich könnte aber beispielsweise auch in der Planung von chemischen Anlagen oder im Marketing arbeiten – und das für ganz unterschiedliche Produkte und Industrien. Von Kunststoffen für die Bau- und Autoindustrie über Pigmente für die Elektroindustrie bis hin zu Öl und Gas für die Energiebranche ist bei BASF alles vertreten«, erzählt die 33-Jährige, für die vor ihrem festen Job am Anfang ihrer BASF-Karriere ein Traineeprogramm stand. Die Vielseitigkeit im Unternehmen und der Abwechslungsreichtum ihrer Arbeit begeistert sie besonders: »Ich arbeite mit Kollegen aus Produktion, Einkauf, Personal oder auch dem Finanzbereich zusammen – und das über Ländergrenzen hinweg.« Die großen deutschen Pharma- und Chemieunternehmen unterhalten viele internationale Zweigstellen und Tochtergesellschaften. BASF allein in mehr als 80 Ländern. Englisch sollte man daher sicher beherrschen.
Einstieg via Traineeprogramm
Die Internationalität spiegelt sich auch im Bereich Personal wider. So beschränkt sich die chemisch-pharmazeutische Industrie schon längst nicht mehr nur auf Deutschland, sondern rekrutiert mittlerweile auch viel im europäischen Ausland. Chiara Strano beispielsweise kam aus Mailand nach Deutschland, um beim Pharma-Konzern Boehringer Ingelheim ein zweijähriges Traineeprogramm im Bereich Einkauf zu absolvieren. »Es war von jeher mein Wunsch, in der Pharmabranche zu arbeiten. Boehringer Ingelheim gehört zu den 20 größten Pharmaunternehmen weltweit und ist sehr international aufgestellt – das hat mich fasziniert. Außerdem wollte ich nach Deutschland umziehen, um endlich meine Deutschkenntnisse anwenden zu können«, so die 27-Jährige, die einen Master of Science in Economics and Management of Innovation and Technology in der Tasche hat.
»In der Regel besetzen wir unsere Traineestellen mit Master- oder Diplomabsolventen. Im naturwissenschaftlichen Bereich haben unsere Trainees häufig bereits eine Promotion in ihrem Fachgebiet abgeschlossen, dies ist aber keine Voraussetzung für eine Bewerbung«, erklärt Silke Rauber-Reichert, Leiterin im People Development bei Boehringer Ingelheim.
Alle sechs Monate wechselt das Team, in dem Trainee Chiara Strano arbeitet. So sollen Einblicke in viele verschiedene Projekte und Aktivitäten entstehen. Wie immer mehr Unternehmen muss auch Boehringer Ingelheim sich etwas einfallen lassen, um seine Mitarbeiter zusätzlich zu motivieren und zu binden. Eine Kantine mit gesundem Mittagessen, Sportangebote auf dem Werksgelände und vielfältige Gesundheitsleistungen gehören bei dem rheinland-pfälzischen Familien-
unternehmen zum Beispiel dazu. Chiara Strano gefällt das: »Es ist großartig, hier zu arbeiten – nicht nur aufgrund der Internationalität, sondern auch, weil sich das Unternehmen sehr für die Mitarbeiter einsetzt. Wer hier arbeitet, kann sein Wissen erweitern und tolle Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen kennenlernen. Ich würde sehr gerne hier bleiben – hoffentlich klappt es.«
Top-Gehälter - schon für Berufseinsteiger
Der Wettbewerb in der internationalen Pharma- und Chemiebranche ist in den vergangenen Jahren härter geworden. Die Zeit, in der Topseller am laufenden Band produziert wurden, ist vorbei. Die Forschung im Unternehmen muss heute wesentlich zielgerichteter und erfolgsorientierter arbeiten. Während es früher reichte, wenn von den Produkten und Stoffen in der Forschung zwei oder drei fruchteten, wird heute oftmals nur noch eine Sache erforscht und bearbeitet – diese muss allerdings klappen, oder es drohen Milliardenverluste.
Die Unternehmen legen daher Wert auf die besten Köpfe, die sich finden lassen. Nicht selten entbrennt ein Headhunting um bestimmte Personalien. Gesucht werden nicht nur Chemiker und Pharmakologen. Kein Unternehmen der Branche kann es sich heute leisten, ohne ITler, Betriebswirte, Controller, Ingenieure, HR- oder Kommunikationsprofis auszukommen.
Und schon die Einstiegsgehälter können sich sehen lassen, gehören die großen Chemie- und Pharma-Unternehmen doch zu den Top-Zahlern unter deutschen Arbeitgebern. So kann ein Biowissenschaftler in der Pharmaindustrie mit gut 57.000 € jährlich rechnen, ein Absolvent, der in den Bereich Vertrieb einsteigt, immerhin noch mit 51.000 €. Ein Doktortitel wird im Schnitt mit 68.000 € pro Jahr honoriert. Steigt die Berufserfahrung, steigt auch das Gehalt merklich: IT-Projektleiter erhalten in Pharmafirmen zum Beispiel rund 94.000 € pro Jahr, spitzenverdienende Chemiker in der Privatwirtschaft etwa 100.000 €. Zum Vergleich: Die Uni Hamburg beschäftigt Chemiker für rund 54.000 € Jahresgehalt.
Als ich beim Campus-Rundgang mit meinem Freund schließlich das Gebäude für Pharmazie und Pharmakologie betrat, stießen wir nach ein paar Metern im Flur auf einen Tisch – über und über voll mit Info-Flyern. Sie stammten ausnahmslos von großen Unternehmen, die Bewerber für die unterschiedlichste Stellen suchten. Allesamt vergütet. Mein Freund und ich, beide Geisteswissenschaftler, sahen uns an. »In unserem Institut steht auch so ein Tisch. Manchmal liegen da zwei oder drei Flyer drauf, die ein unbezahltes Praktikum anpreisen«, flüsterte mir mein Freund zu. Das Wort Neid fiel bei uns in jenem Moment nicht, stand aber im Raum. Die verdammten Pillendreher, die Glücklichen.
In der Pharma- und Chemiebranche kann man sich über viele internationale Erfahrungen, spannende Aufgaben und gutes Geld freuen.