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Rebellion der Großstadtkinder

Urban Gardening bezeichnet die neue Form des Gärtnerns in der Stadt. Zusammen mit Nachbarn und Freunden zwischen Häusern, Autos und Brachflächen werden in Ber- lin, New York und Havanna Pflanzen selber angebaut. Vor allem junge Städterinnen und Städter sind aktiv in den urbanen Gärten. Und es ist viel mehr als nur ein netter Zeitvertreib: Es ist die friedli- che Rebellion der Großstadt- kinder!

Urban Gardening – städtisches Gärtnern – mutet harmlos an und ist oftmals doch eine ausgewachsene Protestbewegung. Weltweit wollen vor allem junge Städter durch selbst- ständigen Anbau von Nutzpflanzen und der schrittweisen Rückgewinnung brachliegender, grauer Betonflecken ein Zeichen setzen. Sie wollen selbst entscheiden, wie ihre Stadt in Zukunft aussieht; sie wollen mitbestimmen, was auf ihre Teller kommt; sie wollen Wege finden, wie Klimaschutzprobleme langfristig angegangen werden können.

In alten Kisten, Einkaufswägen und Tetra Packs werden Pflanzen hochgezogen. Es wird auf schicke Töpfe und Utensilien verzichtet, weil das genutzt werden soll, was schon da ist und nicht mehr gebraucht wird. Nachhaltig- keit und bewusster Konsum sind die Stichwör- ter, welche sich die modernen Rebellen auf die Fahnen geschrieben haben: nachhaltige Le- bensmittelproduktion, nachhaltiger Umgang mit Rohstoffen, nachhaltiger Klimaschutz. Urbane Gärtner als die Aussteiger des 21. Jahr- hunderts.

Was als intelligente Antwort auf gesellschaftliche Problem- lagen angefangen hat, findet immer mehr Zulauf.

Schrittweise kommt das Thema auch an Uni- versitäten und in der Forschung an. Architek- tur- und Raumplanungsstudenten entwickeln in ihren Seminaren Ideen, wie die grüne Stadt von morgen aussehen könnte. Und das wieder- um färbt ab auf Stadtplanung und -politik. Die Hansestadt Hamburg will beispielsweise den Stadtteil Wilhelmsburg zum klimaneutralen Selbstversorger machen und auch die Milli- onen-Metropole New York hat ein offizielles Konzept verabschiedet, welches die langfristi- ge Begrünung der Stadt vorsieht.

Christa Müller ist Soziologin und beobachtet das Phänomen des Urban Gardenings schon seit den späten 1990er Jahren. Ihre Stiftungs- gemeinschaft ‚anstiftung & ertomis‘ fördert und erforscht urbane Gärten, offene Werk- stätten und Repair Cafés. Sie stellt fest, dass es langsam zu einem Umdenken kommt. Denn viele Städte wachsen stetig weiter und wenn diese nicht grüner werden, leidet nicht nur die Luft-, sondern auch die Lebensqualität der Be- wohner.

Die Forscherin sagt, es gehe in Zukunft darum, die Stadt wieder menschen- und auch naturfreundlicher zu gestal- ten – dies unter aktiver Mit- wirkung der Bevölkerung, als friedliche Rebellion der Groß- stadtkinder!

IntervIew

Christa Müller

Die Soziologin im Interview mit Uniglobale

UNIGLOBALE: Was ist eigentlich der Unterschied zwischen Urban Gardening und Schrebergärten?

Ch. M.: Viele Kleingärten verstehen sich als ein Re- fugium jenseits des großstädtischen Trubels und Lärms. Urban Gardening-AktivistInnen wollen dagegen direkt mit der Stadt und ihren Planern kommunizieren und die Stadt mitgestalten. Sie wollen die Orte, an denen sie leben, bepflanzen können, die Nachbarschaft kennenlernen. Ihr Verständnis von Urbanität unterläuft die Trennung zwi- schen Natur und Gesellschaft, sie bringen zusammen, was ihnen für ein lebenswertes Leben in der Stadt sinnvoll erscheint: Men- schen mit Pflanzen und Tieren, Kinder mit Älteren, Zugewanderte mit Alteingesesse- nen. Zudem geht es beim Urban Gardening darum, mit den vorhandenen Materialien zu experimentieren, Europaletten umzubauen zu Beeten, sich umzuschauen, was da ist und das Vorhandene in etwas Neues zu verwan- deln. Also upcyceln, statt alles neu zu kaufen und damit die Probleme der Konsumge- sellschaft zu verschärfen. Man will mit den neuen Gemeinschaftsgärten ökologische Im- pulse setzen – und dabei die eigene Freude am Selbermachen und am Experimentieren mit anderen teilen.

UNIGLOBALE: Was ist Guerilla Gardening?

Ch. M.: Guerilla Gardening ist eine spezifische Form des Urban Gardening. Es sind häufig tem- poräre Aktionen, Bespielungen des öffent- lichen Raumes, Interventionen. Man wirft zum Beispiel Saatbomben und adressiert damit die Stadtplanung, indem man sagt: »Die Stadt könnte auch anders aussehen. Da, wo ihr nur grauen Beton vorgesehen habt, lassen wir Blumen blühen.« Und das ist eine freundliche, friedliche Intervention, die zeigt, dass in der heranwachsenden Genera- tion ein neues Politikverständnis vorhanden ist, das nicht mehr so stark auf Konfronta- tion setzt, sondern eher auf ein Unterlau- fen. Eher eignet man sich Räume an und baut sie dann nach eigenen Vorstellungen in schöne Orte für alle (und das schließt nicht-menschliche Wesen ein) um.

UNIGLOBALE: Gibt es Urban Gardening nur in Deutschland?

Ch. M.: Nein, Urban Gardening ist ein globales Phänomen, weltweit werden in den Städten Lebensmittel angebaut. Urban Gardening, wie wir es aus Deutschland kennen, ist ein Wohlstandsphänomen, in der sogenannten Dritten Welt ist Urban Gardening überlebensnotwendig und hat eine lange Tradition. Zum Beispiel auf Kuba ist es eine ökonomische Notwendigkeit, insbesondere in der Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion, als die Insel plötzlich von sowjetischen Öllieferungen abgeschnitten war. Die industrielle Landwirtschaft ist komplett abhängig vom Erdöl und ohne diesen Input gar nicht denkbar.

UNIGLOBALE: Ist Urban Gardening eine Alternative zur industriellen Landwirtschaft?

Ch. M.: Nein, und das soll sie auch nicht sein. Man will mit dem Gemüseanbau in der Stadt die globale Ressourcenknappheit, die Naturzerstörung und die Verwerfungen der industriellen Landwirtschaft thematisieren. Man experimentiert mit den Qualitäten und der Vielfalt, den der regionale und saisonale Anbau und von Lebensmitteln bietet. Das führt dann auch zu einem sensibilisierten Konsum, so zumindest die Annahme.

UNIGLOBALE: Wie ist Urban Gardening in Deutschland entstanden?

Ch. M.: Angefangen hat es Mitte der 1990er Jahre mit den Interkulturellen Gärten. Während des Bosnienkriegs haben Flüchtlingsfrauen in Göttingen den Wunsch geäußert, selber Gemüse anzubauen. In ihrer Heimat hatten sie große Gärten, die ganze Familien ernährt haben und in Deutschland waren sie dann auf Lebensmittelpakete angewiesen. Daraufhin hat sich eine internationale Gruppe von AsylbewerberInnen zusammengefunden. Anfang der 00er Jahre gab es dann einen Boom der Interkulturellen Gärten, der von unserer Stiftung begleitet und gefördert wurde.
Gegen Mitte der 00er Jahre kamen dann weitere neue Formen auf, wie z.B. der Gemeinschaftsgarten Rosa Rose in Berlin-Friedrichshain – wo Nachbarn auf einer vermüllten Brachfläche zwischen zwei Häusern aufgeräumt und gemeinsam gepflanzt haben. 2009 entstand mit dem Prinzessinnengarten ein explizit „nomadischer“, nämlich mobiler Gemeinschaftsgarten. Jedes der Projekte inspiriert weitere, und so gibt es sie heute in allen großen deutschen Städten.

UNIGLOBALE: Wo kann ich mich informieren?

Ch. M.: Es gibt diverse, untereinander vernetzte Webseiten: www.stadtacker.net oder www.urbane-landwirtschaft.de

Auf unserer Stiftungs-Webseite findet man außerdem eine Übersicht über alle urbanen Gärten in Deutschland: http://anstiftung-ertomis.de/urbane-gaerten

Die Stiftungsgemeinschaft anstiftung & ertomis aus München vernetzt, fördert und erforscht urbane Gärten, offene Werkstätten und Repair Cafés. www.anstiftung-ertomis.de

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