Shoppen an der Bushaltestelle, Lebensmittel aus dem Internet – was vor wenigen Jahren nur wenig verbreitet war, ist heute für Händler und Kunden längst alltäglich. Doch wie sieht die Zukunft des Handels aus? Und welche beruflichen Anforderungen bringt diese mit sich?
Es klingelt. Der Lieferdienst eines Online-Supermarktes steht vor Lenas Tür. Zum Einkaufen hatte die Studentin den Tag über keine Zeit, zu viel Lernstress. Weil sie vergessen hat, Kaffee zu bestellen, lässt sich die 23-Jährige von ihrem Smartphone in den nächstgelegenen Lebensmittelladen lotsen. Dort angekommen, tippt sie „Kaffee“ auf das hüfthohe iPad-Terminal, das den schnellsten Weg zum richtigen Regal anzeigt. „15 Prozent Rabatt“ gibt es, wenn Lena währenddessen eine Eye-Tracking-Brille trägt. „Prima“, denkt sie, setzt sich den Minicomputer auf und shoppt los.
Neben Lenas Augenbewegungen wird auch sie selbst von mehreren Kameras erfasst. Eine Heatmap zeigt, wie sie sich durch den Laden bewegt: Wo sie langsamer geht, um das Sortiment zu beachten, welche Angebotsschilder sie ignoriert.
Was sich nach Big Brother anhört, ist für den Digital Native Lena kein Problem. Solche Situationen gehören zu ihrer Realität. Einer fiktiven Realität allerdings, die es genauso wenig gibt wie Lena. Noch nicht zumindest. Denn das Szenario spielt in der Zukunft – einer Zukunft, die nicht mehr allzu weit weg ist.
Das Smartphone als Einkaufstüte
„Lab in the store“-Momente, Pilotprojekte also, gibt es immer häufiger. Erst kürzlich hat die Deutsche Bahn mit dem Pitch-Event „Next Station“ eine weitere Startup-Initiative ausgerufen. Gesucht wurden Einzelhandelskonzepte für deutsche Bahnhöfe, um das vorhandene Angebot zu verbessern oder zu erweitern. Pickup-Stationen, kurzzeitige Pop-up-Stores oder Navigation in geschlossenen Räumen dank Beacon-Technologie – alles ist denkbar und möglich.
2014 haben laut PayPal 26 Prozent der Deutschen, die online einkaufen, dafür ihr Smartphone verwendet. „Die stationäre Filiale allein kann der Konkurrenz künftig kaum mehr standhalten“, weiß Thorben Fasching vom Bundesverband Digitale Wirtschaft. Um Multichannel-Angebote kommen vor allem Universalhändler wie Karstadt nicht mehr herum. Der Übergang von offline zu online zu mobil und umgekehrt nimmt weiter zu. „Das Smartphone“, sagt Fasching, „wird künftig für den Kunden das Tor zum Einzelhandel sein.“
Innovativ, aber nicht immer sinnvoll
Einer im Auftrag von Ebay verfassten Studie der Wirtschaftsprüfungsgesellschaft Deloitte zufolge, generiert der Onlineverkauf in Deutschland in den Bereichen Mode und Haushaltsgeräte fast eben so viel Umsatz wie das klassische Ladengeschäft.
Deutschlands größter Online-Preisvergleichsanbieter Idealo fand allerdings heraus, dass ein Drittel der deutschen Webshops kein responsives Angebot für Smartphones besitzt. Ist ein mobiloptimierter Dienst dagegen vorhanden, fehlt es nicht selten an einem darüber hinausgehenden Kundenservice etwa in Form von Live-Chats.
Marketing-Experte Fasching warnt jedoch vor unnötigen Zusatzspielereien. „Man muss auch nicht jede Innovation mitmachen.“ Vielmehr müssten Händler von der Beratungsbedürftigkeit des Produkts abhängig machen, welches Modul für sie sinnvoll sei.
Sozialer Treffpunkt und Marktplatz in einem
Eine naheliegende Erweiterung ihres Handlungsspielraums haben unter anderen auch Rewe und Edeka vorgenommen. Neu im Sortiment der traditionellen Supermarktketten: ein moderner Lieferservice. „Es gibt aber auch eine Renaissance zu beobachten“, erklärt Janine Seitz vom deutsch-österreichischen Zukunftsinstitut. Märkte aller Art – egal, ob Bio-, Floh- oder Handwerksmärkte – entstünden und würden wie kleine Feste organisiert. Für Seitz keine Überraschung. „Handeln und verkaufen hat immer auch einen Treffpunkt- und Kommunikationscharakter.“
Dass stationärer Handel lohnt, beweisen immer mehr E-Commerce-Unternehmen, die tatsächliche Verkaufsstätten eröffnen – während sie ihre Produkte weiterhin online mitvermarkten. Janine Seitz spricht von der Umkehrung des „Showrooming-Effekts“. „Heute informiert man sich im Internet, um dann doch im Laden einzukaufen.“
Neue Einkaufserlebnisse schaffen
Die Designer Philippe Wehrhahn und Dennis Pahl versuchen, über möglichst unterschiedliche Kanäle Reichweite für ihre Marke und den gleichnamigen Laden Kollateralschaden herzustellen. Neben ihrem Onlineshop bespielen die Berliner auch Plattformen wie DaWanda, haben eigene Schaufenster in U-Bahnhöfen und sind häufig auf Messen unterwegs. „Die Leute müssen mit uns reden und die Klamotten anfassen können“, sagt Wehrhahn.
Wie wichtig ein kreatives Customer-Relationship-Management ist, weiß Rachel Shechtman. Die Unternehmerin nahm die Digitalisierung des Handels zum Anlass, vollkommen neue Einkaufserlebnisse zu schaffen. Alle zwei Monate wechselt ihr New Yorker Warenhaus Story sein Sortiment und bezieht Kunden zeitweilig als Geschäftspartner mit ein. Die daraus resultierende Community funktioniert ähnlich wie Crowdfunding: Konsumenten werden Teil des Produktes, das sie finanzieren und bedienen eine Verkaufsstrategie, die über Preis, Qualität und Service hinausgeht.
Gesucht: Datengetriebenes Marketing
Bis auch hierzulande derartige Visionen umgesetzt werden, kann es noch dauern. Vorher müssen ortsbezogene und personalisierte Marketingstrategien ebenso wie sichere, biometrische Identifikationssysteme für bargeldloses Bezahlen weiterentwickelt werden. Immerhin lässt sich mit sensiblen Kundendaten mehr anstellen als bloß die „Shopper-DNA“ der Zielgruppe zu entschlüsseln. Die Frage, wo die Grenze zwischen Service und Datenschutz verläuft, ist jetzt schon ein Thema.
Die Suche nach alternativen Kauf-, Liefer- und Bezahlmöglichkeiten wiederum eröffnet neue Berufsperspektiven. Onlineshops, Filialen, Kataloge – alle Elemente müssen besser miteinander vernetzt werden, um Synergieeffekte zu ermöglichen. „Dazu gibt es aber kaum Studieninhalte, sondern nur Weiter- und Fortbildungen. Das reicht nicht“, klagt Trendforscherin Seitz. Thorben Fasching hingegen sieht einen geeigneten Kandidatentypus bereits vor sich. „Ideal sind Informatiker, die Algorithmen bauen und Marketingkonzepte entwickeln können.“
Shoppen an der Bushaltestelle, Lebensmittel aus dem Internet – was vor wenigen Jahren nur wenig verbreitet war, ist heute für Händler und Kunden längst alltäglich. Doch wie sieht die Zukunft des Handels aus? Und welche beruflichen Anforderungen bringt diese mit sich?