Die Finanzbranche bietet Hochschulabsolventen gute Perspektiven – trotz insgesamt rückläufiger oder bestenfalls stagnierender Beschäftigung. Da die Regulierungen stark zugenommen haben, sind Compliance-Experten, die wirtschaftlichen und repräsentativen Schaden verhindern, begehrt. Ebenso: Risikomanager, IT- und Vertriebsspezialisten
„Für den gesamten Bankensektor erwarten wir wieder einen leichten Rückgang der Beschäftigungszahlen wie in den vergangenen Jahren“, sagt Ingolf Jungmann, Vizepräsident der Frankfurt School of Finance and Management. Der betrifft aber nicht Hochschulabsolventen, sondern Positionen in Niedriglohnbereichen überall dort, wo Prozesse stark standardisiert werden. Bei Angeboten für Akademiker gebe es zwar „kein exorbitantes Wachstum“, allerdings einen leichten Anstieg. Die Einstiegschancen von Absolventen bezeichnet Jungmann über alle Bankengruppen hinweg als gut im Vergleich zu den Vorjahren: „Die Banken bieten Traineestellen im gleichen Maße wie zuletzt an.“
Besonders begehrt: Compliance- und Risikomanagement-Experten, IT-Fachkräfte sowie „Akademiker, die sich im Vertrieb beweisen wollen“. Da es wieder mehr Akquisitionen und Börsengänge gibt, ist nach Jahren der Stagnation auch die Nachfrage im Investmentbanking leicht gestiegen. „Junge Menschen, die während des Studiums fachlich besonders engagiert sind, streben seit jeher dorthin“, sagt Jungmann. Hier locken die höchsten Gehälter, die größten Karrieresprünge, der Glamourfaktor.
Deutlich zurückgegangen ist laut Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (AGV) die Zahl der Menschen, die im Kreditgewerbe arbeiten. Zählte der AGV zuletzt 645 550 Beschäftigte (Ende 2013), waren es zehn Jahre zuvor circa 50 000 mehr, allerdings stabilisierte sich der Abwärtstrend zuletzt. An der Beliebtheit von Banken hat die Finanzkrise allerdings nichts geändert: „Nach wie vor wollen die meisten Studenten der Frankfurt School mit Wirtschaftsstudium bei einer Bank arbeiten“, sagt Jungmann. Besonders hoch im Kurs: international tätige Banken; noch höher: internationale Banken in Deutschland, die Jobs in London oder New York anbieten.
Traditionell beschäftigen große Privatbanken die meisten Akademiker, aber auch bei öffentlich-rechtlichen Instituten und Genossenschaftsbanken steigt deren Anteil zunehmend. Beispiel: Volks- und Raiffeisenbanken. Sie suchen in erster Linie Wirtschaftswissenschaftler, etwa „für die Betreuung gehobener Privat- und Firmenkunden oder für die Banksteuerung“, sagt Elmar Görtz, Leiter Personalmanagement beim Bundesverband der Deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken: „Ein Studienschwerpunkt in ‘Banking and Finance’, ‘Finanzierung’ oder ‘Controlling mit Ausrichtung Finance’ ist vorteilhaft. Aufgrund der Digitalisierung sind auch andere Disziplinen, zum Beispiel Informatik, für die Banken interessanter geworden.”
Darüber hinaus verzeichnen auch andere Finanzdienstleister Zulauf, „vor allem von Absolventen, die durch die Finanzkrise eine eher verhaltene Sicht auf Banken bekommen haben“, sagt Jungmann. Über alle Branchen hinweg sind Berufsanfänger mit Wirtschaftsstudium als hochqualifizierte Experten gefragt. Einen „Seitschritt“ haben allerdings die Gehälter gemacht. Fixgehälter wurden zwar erhöht, variable Anteile wie Boni aber eher reduziert. Je nach Hochschule, Abschluss und Arbeitgeber kommen Einsteiger im Durchschnitt auf Einstiegsgehälter zwischen circa 45 000 und 60 000 Euro, die nach den ersten Jahren im Beruf aber schnell steigen können.
Nachwuchsprobleme gibt es noch bei jungen Bereichen. In den vergangenen Jahren hat die Münchner Hypovereinsbank (HVB) zum Beispiel eine Compliance-Abteilung mit mehr als 200 Mitarbeitern aufgebaut, die seit 2013 jährlich sechs bis acht Trainees ausbildet: „Wir haben es bisher immer geschafft, die Traineestellen zu besetzen“, sagt Oliver Simon, Leiter der Personalentwicklung der HVB, „allerdings mit höheren Aufwand als im Investmentbanking oder im Geschäft mit Firmenkunden.“ Das liegt daran, dass das Programm noch nicht so bekannt ist, und dass Compliance noch als etwas „undefinierbares“ gesehen wird, „da viele nicht wissen, wie weit die Aufgaben reichen.“
Die beschränken sich nicht auf Kontrolle, sondern umfassen Information und Beratung der unterschiedlichsten Abteilungen, zum Beispiel wenn Materialien für die Kundenkommunikation erstellt werden. „In der Compliance ist Fachexpertise wichtig“, sagt Simon, „die Mitarbeiter sind in vielen Abteilungen unterwegs und begleiten alle Schritte innerhalb eines Prozesses, da sie in rechtlichen Rahmenbedingungen fit seien und das gesamte Geschäft verstehen müssen. Dadurch bauen sie ein ungeheueres Wissen auf und erhalten Einblicke in unterschiedlichste Felder einer Bank.“
Ein Wissen, das auch Versicherer benötigen: auch sie suchen Spezialisten für Compliance, außerdem für Risikomanagement, Rechnungslegung, Controlling, IT und Vertrieb. „Seit zwei bis drei Jahren konsolidiert sich die Beschäftigung in der gesamten Versicherungswirtschaft leicht“, sagt Michael Gold, Geschäftsführer des Arbeitgeberverbands der Versicherungsunternehmen in Deutschland. „Insgesamt verhalten sich Versicherungen glättend, das heißt, sie bauen nicht so stark auf wie anderen Industrien, und dementsprechend auch nicht so stark ab.“ Einen leichten Rückgang wird es laut Gold auch dieses Jahr wieder geben, vor allem bei gering qualifizierten Positionen. Die Zahl der Akademiker hingegen wächst: Insgesamt ist deren Anteil von 15 Prozent (2003) auf zuletzt 23 Prozent (2013) gestiegen.
„Die Perspektiven für Akademiker in der Versicherungswirtschaft sind gut bis sehr gut“, sagt Gold, „selbst wenn in den Zeitungen bisweilen von Stellenabbau zu lesen ist.“ Den größten Anteil machen Wirtschaftswissenschaftler aus, gefolgt von Juristen und Mathematikern. Nicht zu vernachlässigen: Absolventen mit anderen Abschlüssen, ist doch die Versicherung ein „Haus der 100 Berufe“. Besonders gefragt sind momentan laut einer Studie der Berater von Kienbaum Finanz- und Versicherungsmathematiker (Aktuare).
Ein Problem bleibt jedoch das Image: Bei Absolventen gehören Versicherer nicht wie zum Beispiel Autobauer zu den beliebtesten Arbeitgebern. „Wenn jemand bei einer Versicherung arbeitet“, sagt Gold, „dann will er meist nicht mehr weg. Die Versicherung ist oft eine Liebe auf den zweiten Blick.“
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