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Computerreihen statt Bücherregalreihen

Laut Prognosen wird das gedruckte Buch nach und nach aus den Bibliotheken verschwinden

Die Bibliotheken sind voll davon. Es läuft ohne Batterie, man kann es auch in der hellen Sonne lesen und wenn Wasser darauf spritzt, droht kein Kurzschluss. Trotzdem hat das gedruckte Buck Konkurrenz bekommen. Das E-Book ist im Prinzip die Optimierung jener Entwicklung, die seit der Erfindung der Schriftstücke seit der Tontafel zu beobachten ist: Informationsdichte und Portabilität nehmen immer weiter zu. Das Buch wurde um 1450 dank Gutenberg zur Massenware – durch E-Books könnte das Bedrucken von Papier bei der Buchherstellung bald überflüssig werden.

„Der Trend geht dahin, die gedruckten Bücher in Bibliotheken durch die elektronische Variante zu substituieren“, sagt der Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv), Frank Simon-Ritz. Das hätten die Hochschulbibliotheken bereits deutlich beim Thema Zeitschriften gezeigt. „Es ergibt einfach viel mehr Sinn, wissenschaftliche Werke nur noch elektronisch anzubieten und somit jederzeit zur Verfügung zu stellen.“ Laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels wurden im Jahr 2011 insbesondere wissenschaftliche und Fachbücher als E-Books vertrieben, insgesamt machen diese 37 Prozent aus. Nur vier Prozent der verkauften E-Books waren Belletristik. Die Bibliothek der Universität Weimar, deren Direktor Simon-Ritz außerdem ist, umfasst aktuell 500.000 Bücher, Zeitschriften und Mikrofilme und 200.000 E-Books. Die elektronischen Bücher machen demnach bereits knapp 30 Prozent der verfügbaren Medien aus. „Es wird nicht mehr lange dauern, bis die Zahlen an E-Books und gedruckten Büchern gleich groß sind“, sagt Simon-Ritz. Die deutsche Bibliotheksstatistik belegt: Im Durchschnitt haben deutsche Bibliotheken im vergangenen Jahr bereits 40 Prozent des Erwerbungsetats für elektronische Medien ausgegeben, vor zehn Jahren waren es noch fünf Prozent.

Die Zugänglichkeit von gedruckten Büchern für Bibliotheken ist in Deutschland gesetzlich klar geregelt. Darüber, ob das auch für elektronische Formate gilt, wird heftig gestritten. Einige Verlage verweigern Bibliotheken sogar die Lizensierung von E-Books. „Das halte ich für äußerst heikel, weil es die Grundaufgabe der Bibliotheken in Frage stellt“, sagt Simon-Ritz. Die großen Verlage in Deutschland wollen sich nicht äußern, teilen nur mit, dass sie noch in den Verhandlungen mit den Bibliotheken stehen, was künftige Bezahlmodelle betrifft und auch wie verhindert werden soll, dass Studenten die E-Books dauerhaft auf ihren Geräten speichern. Derzeit ist es so, dass die Universität eine einmalige Pauschale an den Verlag zahlt oder für ein E-Book gleich mehrere Lizenzen kauft, um es an mehrere Studenten gleichzeitig „verleihen“ zu können. Bibliotheken können ohne Erlaubnis des Rechteinhabers keine E-Books lizensieren und verleihen. Simon-Ritz fordert Bund und Länder auf, eindeutige Regelungen für faire Lizenzvergabemodelle zu schaffen und das Urheberrecht zu aktualisieren.

Klaus Junkes-Kirchen ist an der Bibliothek der Goethe-Universität in Frankfurt zuständig für den Neuerwerb von Medien. „Ich habe Verständnis dafür, wenn die Verlage ablehnen, dass die Bibliothek das E-Book künftig nur noch einmal kauft – statt mehrerer Exemplare wie beim gedruckten Buch – und es dann alle Studenten gleichzeitig nutzen können“, sagt er. Sinnvoll erscheint für ihn ebenfalls eine Abgabe von Tantiemen pro Download, der derzeitigen Kopierabgabe entsprechend. Wer derzeit in der Bibliothek eine Kopie macht, zahlt pro Stück Tantieme an die Verwertungsgesellschaft (VG) Wort und der VG Kunst und Bild, mit denen die Bibliotheken einen Vertrag abgeschlossen haben. So werden die rechtlichen Ansprüche der Urheber abgegolten. Die E-Books können mit einem Verfallsdatum versehen werden, etwa mit einem nur zeitweise gültigen Passwort. Mit dem Digital Rights Management (DRM) soll verhindert dass ein gesamtes E-Book auf einmal heruntergeladen und ausgedruckt werden kann. Rechteinhaber können so die Nutzung digitaler Medien kontrollieren.

Nehmen Studenten künftig keine gedruckten Bücher mehr mit nach Hause, gibt es auch keine Gebühren für zu spät zurückgegebene Bücher mehr. Dabei geben die Universitätsbibliotheken an, neue Medien zum Teil aus diesen Geldern zu finanzieren. Fünf- bis sechsstellige Beträge kommen an den Universitäten jedes Jahr an Säumnisgebühren zusammen – und werden an den meisten Unis auch jedes Jahr fest eingeplant. „Andererseits kann man aus einem E-Book auch keine Seiten herausreißen oder oder beschmieren, sodass solche Exemplare auch nicht ersetzt werden müssen. Somit fallen auch einige Kosten weg“, sagt Junkes-Kirchen.

Dennoch kosten E-Books im Durchschnitt mehr als gedruckte Bücher. Die Preisbildung ist politisch umstritten. Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels und der Deutsche Bibliotheksverband sind sich einig, dass die für gedruckte Bücher geltende Buchpreisbindung auch für elektronische Bücher gelten muss. Die Buchpreisbindung verpflichtet Verlage dazu, einen festen Preis für ein Buch festzulegen, damit kein Preiswettbewerb zwischen den Buchhändlern als Kulturvermittler zustande kommt. Zurzeit ist das auch der Fall. Jedoch gilt für gedruckte Bücher der reduzierte Mehrwertsteuersatz von sieben Prozent, für E-Books zahlt man 19 Prozent. Simon-Ritz sagt: Für elektronische Bücher muss die Mehrwertsteuer ebenfalls reduziert werden, sonst wirkt sie wie eine Zusatzsteuer auf Wissen, die es nicht geben darf.“ Ein E-Book sei eben auch nur ein Buch, das als Datei vorliegt, keine Software. „Der angepasste Mehrwertsteuersatz würde die Bibliotheksetats sehr viel mehr und effektiver entlasten als die Säumnisgebühren“, sagt Simon-Ritz.

Laut Media Control wurden 2012 in Deutschland rund 12,3 Millionen E-Books kostenpflichtig heruntergeladen. Der Absatz lag damit zweieinhalb Mal so hoch wie 2011. Der Umsatzanteil der E-Books am gesamten Buchmarkt lag 2012 bei 2 Prozent, für das Jahr 2015 prognostiziert der Börsenverein des Deutschen Buchhandels einen Marktanteil von 6,3 Prozent. Die Verlage schätzen, dass sie bis 2015 im Schnitt 17 Prozent ihrer Umsätze mit E-Books erwirtschaften, diesen Prozentsatz haben sie seit dem vergangenen Jahr schon um einen Punkt nach oben korrigiert.

Denn es gibt immer mehr E-Book-Kunden: Laut dem Börsenverein des Deutschen Buchhandels kauften im Jahr 2011 757.000 Menschen 4,7 Millionen E-Books; 2010 waren es noch zwei Millionen E-Books auf 540.000 Kunden. Dem entsprechend steigt auch die Nachfrage nach E-Readern: bereits 2,2 Mio. Deutsche besitzen einen. Die meisten E-Book-Reader sind kleiner, leichter und haben eine längere Akkulauzeit als ein Tablet oder Laptop. Viele Kunden greifen dennoch zum Tablet, weil sie mehr damit anstellen können. Jedoch führt genau das dazu, dass das E-Book selbst in Vergessenheit gerät. Wie das Institut für Marketing und Medien an der Universität Hamburg festgestellt hat, lassen die Nutzer sich von diesen anderen Möglichkeiten ablenken und finden sich doch plötzlich im Internet wieder, in den Schlagzeilen der Nachrichten-App oder mitten im neuesten Strategie-Spiel. Gerade für Studenten ist das Gift. Für ihre Studie hatten die Hamburger Forscher im vergangenen Jahr 1015 E-Book-Leser befragt. Studenten benötigen nicht unbedingt einen E-Book-Reader, findet Simon-Ritz. „Die Bibliotheken in den Universitäten haben gute Arbeitsplätze, in nächster Zeit wird es noch mehr und bessere geben. Wissenschaftliche E-Books können am PC gelesen werden. Der E-Book-Reader ist aber praktisch für unterwegs.“

Tatsächlich: Geräte mit E-Ink-Displays haben Akkulaufzeiten von Tagen bis hin zu Wochen. Diese Displaytechnik kann man sich vorstellen wie die Ziffernanzeige auf einer Digitaluhr. Die virtuelle Buchseite wird nicht beleuchtet und verbraucht nur beim Umblättern Strom. Die meisten E-Book Reader nutzen SD-Karten als Speichererweiterung. Ein paar hundert Bücher passen auch ohne Speichermedium auf einen Reader.

E-Books gibt es in über 30 Formaten. Für einen Standard bräuchte es entweder ein Gesetz oder eine Übereinkunft der Verlage. So weit ist es bislang noch nicht. Am bekanntesten ist wohl die PDF-Datei. Auf E-Readern können aber Komplikationen bei Format und Auflösung der PDF auftreten. Als Quasi-Standard hat sich das Format Epub herauskristallisiert: Es ist speziell für E-Reader entwickelt und passt sich dem jeweiligen Gerät an. Dennoch sollte jeder Reader PDF unterstützen, dann kann der Nutzer alle Dokumente am Computer in PDF umwandeln und auf dem Reader lesen. Für Studenten sind auch HTML, DOC, TXT und PDB nützlich. Die meisten Lesegeräte können jedoch alle Formate abspielen, nur Amazon hat seinen eigenen Standard. Besondere Vor- oder Nachteile haben die einzelnen Datei-Formate nicht. Aussuchen könnte der Nutzer sich sein Format ohnehin nicht, denn ein E-Book erscheint meist nur in einem einzigen Format. Technische Voraussetzung dafür, um E-Books im Epub-Format am Bildschirm lesen und verwalten zu können, ist das Programm Adobe Digital Editions. Das Programm gibt es kostenlos zum Download auf der Website www.adobe.com

Wer sich für ein Lesegerät für E-Books entscheidet, muss noch entscheiden, welcher Typ Leser er ist.

Der Pflichtleser:

Wer den E-Reader zum Arbeiten nutzt, sollte darauf achten, dass das Gerät viele Dateiformate unterstützt und das Displayausreichend groß ist. Zum wissenschaftlichen Arbeiten gehört eben auch, dass man einmal verschiedene Textstellen miteinander vergleichen muss, da lohnt sich eine größere Darstellungsfläche, um ständiges Zoomen und Scrollen zu vermeiden. Wer nur Text liest, kommt mit den 5- und 6-Zoll-Geräten wunderbar zurecht. Vor allem, wer es im Studium häufig mit Zeitungen, technischen Zeichnungen, Diagrammen, Grafiken oder nicht skalierbaren PDFs zu tun hat, ist mit einem 10-Zoll-Gerät gut bedient. Wichtig ist auch eine Notizfunktion, mit der man im Text Anmerkungen machen kann. Im Idealfall sind diese auch exportierbar.
Geeignet: Onyx Boox M92, Onyx Boox M91S, PocketBook 902, PocketBook 903, Pocket-Book 912, Asus DR 900, eeeReader.

Der Pleitegeier:

E-Book-Reader gibt es ab 50Euro, aber auch die Geräte für 250 Euro gelten noch als günstig. Wer nicht mehr als 200 Euro ausgeben kann oder möchte, ist mit diesen Exemplaren gut bedient: Bookeen Cybook Pous, Icarus Sense G2, Sony PRS 350 Pocket Edition.

Der Notizen-Macher:

In ein Buch kann man mit dem Bleistift kritzeln, auch einige E-Book-Reader ermöglichen Notizen am Bildschirm, manche sogar Freihandnotizen und einfache Zeichnungen.
Geeignet: Die PocketBook 603, PocketBook 903, PocketBook 912, Icarus Sense G2, Onyx Boox M90, Onyx Boox M92, Sony PRS 650 Touch Edition.

Der Nachtschwärmer:

Wer oft bei wenig Licht liest, braucht eine beleuchtete Lesefläche. Die bietet der Kindle Paperwhite und der Kobo Glo. Durch das eingeschaltete Licht wird der Akku natürlich schneller erschöpft. Die E-Ink-Displays leuchten nicht selbst. Für die gibt es auch kleine Leuchten zum Anklemmen, die universell für fast alle E-Book-Reader passend sind.

Der Gartenarbeiter:

Wer lieber in der Sonne liest, sollte auf ein nicht-spiegelndes Display achten. Fast alle E-Ink-Geräte dienen mit dem nötigen matten Display.

Der Aufschieber:

Wer schnell lesen will, braucht ein möglichst großes Display, damit er möglichst viel Text auf einen Blick bekommt. Der Amazon Kindle blättert außerdem sehr schnell um. Grundsätzlich benötigen E-Ink-Displays zum Blättern zwischen 0,5 und 2 Sekunden. Gerade wer größere Schriftarten wählt, muss auf das Umblättern warten.

INTERVIEW mit Frank Simon-Ritz:

Frank Simon-Ritz (51) ist der Vorsitzende des Deutschen Bibliotheksverbandes (dbv). Der promovierte Historiker und Germanist vertritt mehr als 2000 Bibliotheken in Deutschland, darunter – alle 350 wissenschaftlichen Bibliotheken des Landes.

UNIGLOBALE: Herr Simon-Ritz, was wird das E-Book aus den Universitätsbibliotheken machen?

F.S.-R.: Das Konzept der Bibliotheken wird sich komplett ändern. Ihre Attraktivität wird künftig nicht mehr darin bestehen, dass sie Informationen in Regalen zu bieten hat, sondern in ihrer guten technischen Ausstattung und der Arbeitsatmosphäre.

UNIGLOBALE: Gehen Sie davon aus, dass das E-Book das gedruckte Buch eines Tages ganz ersetzt haben wird?

F.S.-R.: Nein, das nicht. Wir gehen auch heute immer noch ins Kino, wir hören immer noch Radio, obwohl es heute Blu-rays und MP3-Player gibt. E-Books und auch Hörbücher verdrängen das Buch nicht komplett, sie ergänzen es und erweitern damit die Medienpalette. Das Elektronische ist einfach nur eine Transformation. Wenn es nicht um die nüchterne Aufnahme von Informationen geht, sondern um ein literarisches Werk in einem schön gebundenen Umschlag, wird das gedruckte Buch auch weiter vorne liegen. Künstlerische Bücher, bei denen es nicht nur um den Inhalt geht, werden immer Abnehmer finden.

UNIGLOBALE: Wird auch beim Präsenzbestand der Bibliotheken eine Verdrängung stattfinden?

F.S.-R.: Auf jeden Fall. Gedrucktes wird aus den Bibliotheken verschwinden, dafür werden neue Arbeitsplätze entstehen – Buchregalreihen werden durch Arbeitsplatzreihen ersetzt werden.

UNIGLOBALE: Was glauben Sie – wie wird in Zukunft das Ausleihsystem funktionieren?

F.S.-R.: Die Ausleihe ist ein Vorgang in der physischen Welt. Medienhistorisch kann jedoch beobachtet werden, dass während der Umstellung zum Elektronischen die physische Welt zunächst nachgeahmt wird. So war es ja auch mit dem gedruckten Buch selbst: Der frühe Buchdruckt tut ebenfalls so, als sei er eine Handschrift und nicht gedruckt. Er versuchte zunächst gar nicht, sich von den handgeschriebenen Werken abzuheben. Erst später benutzte man dann Druckschrift. Auch jetzt befinden wir uns wieder in einer solchen Übergangszeit. Eine echte ‚Ausleihe‘ wird es nicht mehr lange geben. Es wird zurzeit auch sehr viel gedruckt in der Bibliothek. Die Studenten nutzen die E-Books zum Recherchieren, zum Arbeiten drucken sie die entsprechenden Textstellen dann aber doch aus. Schon bald wird überhaupt nicht mehr gedruckt. Wissenschaftliche Arbeiten werden mit E-Books recherchiert, am PC geschrieben, per Mail eingereicht und auch von Professoren am Bildschirm gelesen.

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