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Studieren im Leuchtturm

Der Taxifahrer ist jung. Er verkörpert die statistischen 70 Prozent der Einwohner Vietnams unter 35 Jahren, bei einer Bevölkerung von rund 89 Millionen. Noch beim Einsteigen hatte er mit einem Lächeln, breit wie der Mekong, versichert, dass er den Weg kenne, zur VGU, der Vietnamese-German University im Thu Duc Distrikt. Doch dann steht er eingekeilt zwischen herum kurvenden Autos und hupenden Mopeds und weiß nicht, welchen Highway er aus der acht Millionen Metropole Saigon nehmen soll. Die größte Stadt des Landes, unterteilt in 21 Bezirke, hat viele Hochschulen. Da hilft nur ein Anruf bei einem deutschen Mitarbeiter. Der spricht akzentfrei vietnamesisch.

Patrick Raszelenberg, der Personal Assistent des Präsidenten der VGU, wartet schon. Er steht hinter einem Vorhang aus Wasser. Es ist September, die Zeit dichter Regenschauer und keiner geistigen Ergüsse. Semesterferien. Raszelenberg, groß, schlank, ist schon allein wegen seiner Sprachkenntnisse einer der vielen Brückenbauer an der Uni. Wie sein Chef Jürgen Mallon. Als Norddeutscher kommt der Professor gleich zur Sache: „Wir wollen die beste Hochschule Südostasiens werden“, sagt er in einem Ton, der keinen Zweifel zulässt.

Dieses Ziel hat er schon einmal öffentlich formuliert. Das war im Juni 2012. Damals hielt er seine Antrittsrede als neuer Präsident der VGU vor 50 von insgesamt 500 vietnamesischen Studenten. Nicht vor 5000 – da will die VGU erst noch hin, bis zum Jahr 2020.

Ihre Gründung vor fünf Jahren beruht auf einer langen Freundschaft zwischen Deutschland und Vietnam. Und natürlich auf dem politischen Willen beider Länder. Beim Export von Bildung Made in Germany hatte das Bundesland Hessen seine Finger im Spiel. Kannten sich doch der damalige vietnamesische Minister für Ausbildung, Vizepremier Nguyen Thien Nhan und Udo Corts, damals Minister für Wirtschaft und Kunst in Hessen. Nguyen hatte in Magdeburg studiert und promoviert. Er wusste um die Vorteile forschungsorientierter Lehre mit Bezug zur Praxis. In Vietnam ist diese Art des Studiums bisher unbekannt. Hier überwiegt Frontalunterricht. Die Hochschulen bilden nur aus, geforscht wird an Instituten.

Doch das Land will aufholen. Für die rasant wachsende Wirtschaft – bis 2020 strebt Vietnam nach dem Status eines Industrielandes, werden Akademiker und Nachwuchswissenschaftler dringend gebraucht. Eingebettet in bildungspolitische Reformen, die die Regierung seit längerem konsequent umsetzt, „sind wir eine New-Model-University mit dem Ziel, neue Formen der Bildung in die Hochschullandschaft Vietnams zu bringen“, sagt Mallon. Das heißt, die noch junge Uni gehört zu insgesamt vier internationalen Hochschulen, die jeweils von einem Partnerland, im Fall der VGU von Deutschland, unterstützt werden und deren bildungspolitische Konzepte übernehmen. Leuchtturmprojekte von Forschung und Lehre. In einem Jahrzehnt sollen sie zu den 200 besten der Welt zählen. So der Plan.

Dafür lehnt sich die Bundesrepublik weit aus dem Fenster. Millionenbeträge kommen aus Hessen, Baden-Württemberg sowie vom Bundesministerium für Bildung und Forschung. Das Fundament für die technisch-naturwissenschaftliche Ausrichtung bilden ein gemeinnütziger Trägerverein, den über 30 deutsche Hochschulen, darunter der Verbund der neun größten technischen Universitäten Deutschlands, angehören. Professoren fliegen für Blockseminare aus Deutschland ein. Angeboten werden Bachelor- und Master-Studiengänge, auch eine Doktoranden-Ausbildung. Die künftigen Forschungsfelder wie Umwelttechnik und Biotechnologie orientieren sich am Entwicklungsbedarf Vietnams. Die Studenten erhalten einen deutschen und einen VGU Hochschulabschluss.

„Klingt relativ einfach, nicht wahr“, meint Mallon. „Aber dahinter steckt ein ganzes Hochschulsystem.“ Gleichsam die DNA der Uni muss er noch entwickeln. Dabei stellen sich für den Mann, der als ehemaliger Leiter von drei Produktionsstätten einer deutschen Firma in Shanghai Herausforderungen sportlich nimmt, mehrere Fragen: „Wie kann die zugestandene hohe Autonomie in Forschung und Lehre umgesetzt werden? Wie baut man unter den kulturellen und rechtlichen Bedingungen in Vietnam am besten eine moderne Hochschul-Governance auf? Die Unterrichtssprache der VGU ist Englisch, was dementsprechend beherrscht werden muss. Deutsch wird Studien begleitend gelehrt.”

Dann wartet gleich die nächste Herausforderung. Die Masterabsolventen sollen ein Niveau haben, wo sie auch forschen können. „Also legen wir Wert auf ein Vollzeitstudium“, so der Professor. „Doch in Vietnam sagen die Eltern: Nach dem Bachelor kommt nicht der Master. Sondern erstens gründest du eine Familie und zweitens siehst du zu, wie du sie ernähren kannst.“ Wenn ein Studium, dann nur in Teilzeit, abends und am Wochenende. Studiengebühren müssen sie auch noch zahlen, eine Ausbildung umsonst ist in den Augen der Menschen hier keine gute Investition in die Zukunft.

Huynh Nguyen Dang Khoa gehört zu denen, die es geschafft haben. Der 28jährige hat seinen Masterabschluss Megatronics and Sensor Systems Technology in Mannheim gemacht. Die Stadt ist der Firmensitz von Pepperl und Fuchs, einem weltweit agierenden Unternehmen der Automatisierungstechnik mit einem Produktionsstandort in Saigon. Die Studiengebühren in Höhe von 1500 Dollar je Semester braucht er nicht zu zahlen. Gemeinsam mit seinem Kommilitonen Cao Dinh Dien, 27, wurde er frühzeitig für eine Förderung ausgewählt. Dafür mussten sich beide verpflichten, zwei bis drei Jahre für die Firma zu arbeiten. Für Khoa und Dien ein Glücksfall. „Hier können wir zeigen, was in uns steckt“, sagt Khoa. Es wird uns so viel Vertrauen entgegengebracht, so dass wir auch eigene Ideen umsetzen dürfen.“

Da ist er, der enge Praxisbezug zur deutschen Wirtschaft und Industrie, den Mallon ausbauen will und den die Studenten schätzen. Made in Germany, ob in der Technik oder in der Bildung, hat in Vietnam einen sehr guten Ruf.

Genau besehen konnte der Taxifahrer die VGU nicht finden. Sitzt der Professor doch mit seinem Verwaltungspersonal und den Studenten nicht nur im übertragenen Sinn auf einer Baustelle. Die Uni ist auf drei temporäre Standorte in der Stadt und im Umland verteilt. Für einen eigenen Campus in der Zukunftsstadt Binh Duong 40 Kilometer vor Saigon laufen die Planungen. Interdisziplinäre Forschungszentren, Verwaltungsgebäude, Studentenwohnheime, Sport- und Fitnessplätze sollen hier für ein internationales Flair sorgen. Mit einem 180 Millionen Dollar Kredit, den die Weltbank Vietnam zur Verfügung stellte, dürfte das eine der leichteren Übungen sein.

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