Nach dem Studium steht für die meisten Absolventen Bewerbungen schreiben ganz oben auf der To-do-Liste. Bisher immer mit dabei: der Lebenslauf. Anders bei hub:raum, dem Inkubator der Deutschen Telekom. Hier hat HR-Expertin Anna Ott den CV aus den Bewerbungsunterlagen verbannt. Warum und wie das ankommt, erzählt sie im Interview.
UNIGLOBALE: Frau Ott, wie sind Sie auf die Idee gekommen, den Lebenslauf in der Bewerbung abzuschaffen?
Anna Ott: Dass der Lebenslauf, der CV, keine hilfreiche Datenquelle ist, war mir schon immer ein Dorn im Auge, aber so richtig akut wurde es dieses Jahr im Frühjahr beim Hören der Audioversion von „The End of Average“ von Todd Rose. Er verdeutlicht, dass das Augenmerk auch bei Einstellungsentscheidungen auf Individualität liegen muss und Durchschnittsvergleiche wie Noten oder Intelligenztests tatsächlich Quatsch sind. Daraufhin hatte ich den Drang, etwas anderes auszuprobieren und zu schauen, ob man den Lebenslauf tatsächlich abschaffen und ersetzen kann.
Welche Gründe sprechen gegen den Lebenslauf?
Ich habe in meinem Job sicherlich schon mehrere zehntausend Lebensläufe gesehen und festgestellt, dass man geneigt ist, dabei schnell zu entscheiden: Da wird man von einem schönen Format geblendet, hängt sich an Rechtschreibfehlern auf oder packt Kandidaten allzu rasch in Schubladen. Das war sicherlich schon immer so, aber in den vergangenen Jahren ist in meiner Branche, der digitalen Wirtschaft, verstärkt hinzugekommen, dass Karrierewege sehr unlinear sind und selten eine Berufsentscheidung mit akademischer Ausbildung korreliert. Ob jemand ein richtig guter Softwareentwickler ist, sehe ich nicht am CV. Viele haben gar nicht Informatik studiert, aber einfach viele Jahre Erfahrung im Programmieren, teilweise auch in privaten Projekten, die nicht im Lebenslauf auftauchen. Daher ist für mich viel entscheidender, was jemand tatsächlich gelernt hat und nicht, wann er wo gearbeitet hat.
Wie läuft der Auswahlprozess bei hub:raum nun stattdessen ab?
Das Ganze ist derzeit noch ein offenes Experiment. Wir haben als Alternative zum CV erstmal begonnen, die Kandidaten stattdessen in einem Video Antworten zu sieben Fragen aufnehmen zu lassen. Diese sind alle nicht jobbezogen, da wir alle Kandidaten, ob Praktikant oder Senior, die gleichen Fragen beantworten lassen. Hier geht es unter anderem um Motivation, die Einstellung zur Arbeit, vergangene Projekte, auf die sie stolz sind. Danach entscheide ich, ob die Kandidaten für ein Interview zu einer unserer offenen Stellen in Frage kommen. Im zweiten Schritt kommt also ein fachliches Gespräch über den Job und die entsprechenden Aufgaben.
Entwertet das Vorgehen denn nicht Ausbildungs- und Studienabschlüsse?
Nicht wirklich, weil das natürlich auch Gesprächsthema sein kann im Interview. Allerdings steht das nicht so im Vordergrund, sodass alle Kandidaten, egal an welcher Uni sie studiert haben oder wie gut ihre Leistungen waren, die Gelegenheit bekommen, sich zu präsentieren. Wir hatten bei hub:raum vorher zumeist Studenten von sehr anerkannten Business Schools in Europa und auch wenn die alle sehr gut waren, waren sie doch alle ein wenig „gleich“. Jetzt bewerben sich sehr unterschiedliche Kandidaten aus aller Herren Länder und aus allen sozialen Schichten. Das finde ich persönlich ganz großartig!
Wie sind die Reaktionen auf „No CV hiring“?
Das Feedback der Kandidaten war ausnahmslos positiv. Natürlich muss man aber auch einschränken, dass die Kandidaten, die sich bei uns bewerben, dies ja im Wissen tun, dass wir Lebensläufe abgeschafft haben. Daher freuen die sich natürlich, dass sie sich bei uns präsentieren können, während sie bei anderen Unternehmen direkt durchs Raster fallen, wenn sie nicht an Eliteunis waren und Top of the Class sind. Letztere hingegen schreckt das neue Verfahren sicherlich ein wenig ab. Solche Kandidaten haben wir jetzt nur noch selten.
Bei hub:raum, dem Inkubator der Deutschen Telekom, hat man den Lebenslauf im Bewerbungsprozess abgeschafft. Wie das funktioniert, erfährst du hier.