Interview Farin Urlaub

Interview Farin Urlaub

„Ich unterwegs, ich glücklich“

Lange bevor Jan Vetter Rockstar und Sänger der Ärzte wurde, reiste er schon rastlos durch die Welt. Er nannte sich: Farin Urlaub. Bis heute ist der 51-Jährige ständig unterwegs. Auf Tour mit dem „Farin Urlaub Racing Team“ oder ganz alleine - mit seinem Geländewagen und seiner Kamera. Die Fotos von seinem letzten Afrika-Trip hat der überzeugte Nomade gerade in zwei Bildbänden veröffentlicht.

Was war Deine erste Reise, an die Du Dich erinnerst?

Ein Zeltlager in Schweden, da war ich neun Jahre alt. Ich war zum ersten Mal weit weg von zuhause, ich kannte niemanden. Das war das Tollste, was ich bis dahin erlebt hatte: Komplette Anarchie, drei Wochen lang. Wir konnten machen, was wir wollten, haben in Schlafsäcken auf Heu geschlafen. Da wusste ich: Sowas will ich mein Leben lang haben.

Seitdem warst Du in mehr als 100 Ländern, oft bist Du mehrere Monate im Jahr unterwegs. Verreist Du heute anders als früher?

Früher bin ich mit kaum Gepäck gereist, mein Rekord waren 6,5 Kilo für vier Monate. Das geht aber nicht mehr, dafür fotografiere ich einfach zu gerne – und für meine Ausrüstung brauche ich ein vernünftiges Transportmittel. Wenn ich meine Mittelformatkamera mitnehme, komme ich schnell auf 40 Kilo. Deshalb habe ich auf meinen Reisen entweder meinen Geländewagen oder mein Motorrad dabei. Aber der Grundgedanke ist der gleiche geblieben: Ich unterwegs, ich glücklich.

Auf Dem Cover Deiner aktuellen Platte „Faszination Weltraum“ inszenierst Du Dich als Held, der nach einer großen Reise heimkehrt. Was vermisst Du an zuhause, wenn Du unterwegs bist?

Das einzige, was ich ab und zu vermisse, sind meine Freunde. Das ist aber ja nicht mehr so wie früher. Damals fuhr man weg und die Kommunikation hörte einfach auf. Das teuerste Telefonat meines Lebens musste ich Mitte der 90er Jahre von Sambia nach Deutschland führen - 100 Dollar für etwa acht Minuten. Und ich bin einen halben Tag gefahren, zu dem einzigen Telefon, was es weit und breit gab. Heutzutage kann ich in erstaunlich vielen Ländern SMS verschicken, manchmal sogar MMS. Das mache ich aber bewusst nicht. Ich finde, dass Reisen eine Art Abschied ist. Wenn ich die ganze Zeit mit einem Bein zuhause bin, bin ich auch nicht ganz auf Reisen.

Wie übersetzt Du die sehr persönlichen Erlebnisse auf Deinen Reisen in Deine Songs, die die Kunstfigur Farin schreibt?

Wenn ich das wüsste, würde ich wahrscheinlich einen Nobelpreis als Hirnforscher bekommen. Ich will die Mechanismen dahinter aber auch nicht zu genau verstehen. Nehmen wir eine Situation: Ich fahre irgendwo eine staubige Piste lang und da liegt eine Elefantenleiche. Natürlich singe ich dann nicht: „Da lag der tote Elefant.“ Aber trotzdem setzt dieser Eindruck irgendwas in meinem Hirn frei, so, dass am Ende des Tages ein Lied dabei herauskommt. Was inhaltlich nichts mit dem Erlebten zu tun hat, aber ihm trotzdem zu verdanken ist – offenbar, weil da Potential freigesetzt wurde. Für mich funktioniert die Gleichung: Mach viele Reisen, dann schreibst Du viele Songs. Fertig.

Haben Deine Freunde und Deine Familie Verständnis für diesen Lebensstil oder sagen die Dir: Lass es mal langsamer angehen?

Ich habe in meinem Bekanntenkreis genau einen Menschen, dem es genauso geht wie mir. Alle anderen haben gesagt: Jetzt komm doch mal zur Ruhe. Vor mittlerweile drei oder vier Jahren habe ich einen Artikel im Economist gelesen, der - dramatisch ausgedrückt - meinen Verstand gerettet hat. Da stand drin, dass Forscher ein Nicht-Sesshaftigkeits-Gen gefunden haben. Ungefähr 1,5 Prozent der Bevölkerung haben es, die anderen nicht. Ich dachte lange Jahre, mit mir stimmt was nicht. Dann habe ich das gelesen und gedacht: Das bin ich, alles in Ordnung. Es ist einfach nur eine genetische Mutation.

Die Songs auf Deinem neuen Album handeln wieder von universellen Themen, es geht um Partnerschaft, Mut oder gesellschaftlichen Druck. Wie schwer ist es, Dich nach all den Jahren nicht zu wiederholen?

Es ist nicht nur schwierig, es ist unmöglich. Es gibt jede Menge durchgestrichene Texte, bei denen ich mir denke: Das haste schon mal gesagt und vielleicht sogar besser.

Du hast mehr als 1.000 Lieder geschrieben. Kannst Du Dich überhaupt an alle erinnern?

Ich hab die Texte schon sehr präsent, ja. Alles was veröffentlicht ist, kenne ich. Dafür kann ich mir überhaupt keine Namen, Geburtstage und Telefonnummern merken. Das scheint ein Deal zu sein: OK, du behältst alle Deine Songs, aber Du wirst dafür bezahlen müssen. Dann stehe ich im Supermarkt und habe vergessen, was ich einkaufen wollte.

Nervt es Dich, wenn Du immer wieder Ideen in den Müll werfen musst?

Nee, es ist eher ein Ansporn. Ich freu mich riesig, wenn mir ein Thema einfällt, von dem ich denke: Da hab nicht nur ich noch nicht drüber gesungen, sondern vielleicht noch keiner. Klappt aber nicht oft - als ich stolz war, für mein neues Album "Dynamit", ein Lied über Architekturkritik geschrieben zu haben, haben mir sofort zwei Leute Lieder geschickt und gezeigt: Du bist nicht der Erste. Das waren zwar zwei absolute Nischenbands, die ich nicht kannte. Aber ich war schon ein bisschen geknickt.

Auf Deinen Touren bist Du nur beruflich unterwegs. Was nimmst Du von diesen Reisen mit?

Alleine die Off-Tage sind toll. Wenn wir dann einen freien Tag in Erfurt haben, freu ich mich drauf und laufe da herum. Neulich haben wir mit dem Racing Team bei einem Festival gespielt und es gab in der Nähe einen See. Da war völlig klar, dass wir in diesen See springen, und zwar alle. Wir sehen das mit ironischem Abstand: Das ist unser Beruf und wir sind alle schon etwas älter. Und wenn’s geht, machen wir schon auch Kacke zusammen.

Auf Deinem aktuellen Album spielst Du wieder den Punkrock, den man von Dir kennt. Hättest Du mal Lust auf was ganz Anderes?

Ganz ehrlich: Ich finde, meine Stimme alleine ist nicht so abendfüllend, da muss was drumherum. Ich bin halt nicht Johnny Cash, dem höre ich auch fünf Alben lang gerne zu. Bei mir muss man da eher die Mitten rausdrehen (lacht). Klar hab ich manchmal spontane Ideen oder Träume, aber sobald ich mich an die Umsetzung machen würde, würde ich mich fragen: Braucht man das jetzt wirklich? Und dann lass ich’s halt. Ich finde ja, dass ich sowieso schon ganz schön viel mache. Ich will den Leuten ja nicht auf den Sack gehen.

Du bist jetzt 51 Jahre alt. Stellst Du manchmal fest, dass Du übersättigt und weniger neugierig bist, als früher?

Es ist eher schlimmer geworden. Weil ich jetzt mehr weiß, kann ich noch mehr Fragen stellen. Wenn man weniger weiß, kommt man ja auf viele Fragen gar nicht. Über die Jahre hat sich ein bisschen was an Wissen angesammelt, Weisheit noch nicht so. Deshalb gehen meine Fragen jetzt mehr in die Breite. Du müsstest mal meine Bibliothek sehen, die wächst und wächst. Ah, das ist auch interessant, das da muss ich auch lesen, das denke ich mir ständig.

Was Übersättigung angeht: Ich habe gelernt, mir auf meinen Reisen Ruhepunkte für meinen Kopf zu gönnen. Nach drei Monaten bleibe ich für ein paar Tage in einer reizärmeren Gegend. Vordergründig warte ich dann den Wagen, wasche alles. Aber hintergründig will ich damit alles erstmal ein bisschen sacken lassen, bevor wieder das Nächste kommt.

Du bist also noch nicht zum Zyniker geworden?

Null. Vor allem der Gedanke „Weiß ich alles“ ist immer ein Trugschluss. Es gibt schon Situationen, in denen ich ungefähr ahne, wie es weitergeht – aber wirklich sicher kann ich mir trotzdem nicht sein. Und ich lerne mich ja in jeder neuen Situation wieder neu kennen. Zum Zyniker tauge ich in diesem Leben nicht mehr, glaube ich. Dafür bin ich viel zu enthusiastisch.

Wo hast Du Dich das letzte Mal so richtig gelangweilt?

(überlegt lange) Flüge und Flughäfen sind für mich keine tollen Orte. Bei längeren Flügen habe ich zwar die Vorfreude, dass ich dadurch weit weg komme. Aber ich bin echt nicht gerne Vielflieger. Die Luft ist schlecht und ich kann im Flugzeug irgendwie nicht richtig lesen. Wenn ich mich beamen könnte, wär das ein Traum. Aber ansonsten? Langeweile über längere Zeit kenne ich nicht. Das ist eine Grenzerfahrung für mich.

Vom Profi zum Backpacker-Studenten: Was sind Deine wichtigsten Tipps für’s Reisen?

Das Allererste: Schmeißt bitte die Hälfte wieder raus aus dem Rucksack. Die Dinger werden immer größer. Als ich losgefahren bin, wog ein großer Rucksack zwölf Kilo. Mittlerweile gibt’s Leute, die schleppen 30 Kilo mit sich rum. Seid Ihr wahnsinnig? Dann bleibt doch zuhause. Man braucht auf keiner Reise der Welt mehr als zwei Paar Socken, ausgenommen vielleicht Nord- und Südpol (lacht). Waschen kann man überall.

Ich find‘s auch doof, wenn man sich vorher schon ein Bild von seinem Ziel macht und dann nur noch unterwegs ist, um dieses Bild zu erfüllen. Man sollte – Achtung, ich werde jetzt lyrisch – als offenes Gefäß verreisen. Zu sagen: „Das ist doch bestimmt…“, ist ein ganz falscher Ansatz, finde ich.

Erkennen Dich die Leute im Ausland?

Nein, niemand. Aber so schlimm ist das mit dem erkannt werden eh nicht. Ich gehe ja auch in Berlin ständig aus und da ist es selten, dass mich jemand anspricht. In Österreich war ich mal wild zelten. Nach ein paar Tagen war ich so verwahrlost, dass ich unbedingt in ein Hotel wollte, um zu duschen. Ich habe mir ein nettes Berghotel herausgesucht und bin da reinspaziert. Die Frau an der Rezeption hat mich gesehen und ist ohnmächtig geworden, Schnappatmung und aus. Ich hoffe, es war nicht, weil ich so gestunken habe.


Lange bevor Jan Vetter Rockstar und Sänger der Ärzte wurde, reiste er schon rastlos durch die Welt. Er nannte sich: Farin Urlaub. Bis heute ist der 51-Jährige ständig unterwegs. Auf Tour mit dem „Farin Urlaub Racing Team“ oder ganz alleine - mit seinem Geländewagen und seiner Kamera. Die Fotos von seinem letzten Afrika-Trip hat der überzeugte Nomade gerade in zwei Bildbänden veröffentlicht.

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