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Expedition ins Niemandsland

Sechs Monate unter Löwen, Rebellen und Wilderern: Wie zwei unerschrockene Studenten aus Bern und Wien in Zentralafrika allerhand verschollen geglaubte Tierarten wiederentdeckten

Hic sunt leones. Hier sind Löwen. So bezeichneten Kartographen im Römischen Reich unbekanntes Land jenseits der Grenzen. Meist lag es in Afrika.

Als der Schweizer Biologiestudent Thierry Aebischer vor drei Jahren grübelte, welche Gegend Afrikas eine spannende Forschungsarbeit abwerfen könnte, kam er nicht vom Chinko-Becken los, dem fast menschenleeren Südosten der Z.A.R., der Zentralafrikanischen Republik.

Das Chinko-Becken ist ein Mosaik großer Waldsavannen und tropischer Regenwälder – dreimal so groß wie die Serengeti. Die schachbrettartige Struktur aus Savanne und Wald macht es zum Hotspot der Artenvielfalt. Einst sagten sich dort Zehntausende der Dickhäuter mit Giraffen und Nashörnern gute Nacht. Was, fragte sich Aebischer, kreucht und fleucht dort heute noch durch den Busch?

“Wo ich auch anfragte, hörte ich immer nur: ‘Wir wissen nichts.'”, erzählt Aebischer. Wissenschaftliche Daten zu dem Gebiet von der Größe Österreichs gab es kaum. Über hundert Jahre war die Region nicht mehr erforscht worden.

Zusammen mit dem Wiener Studenten Raffael Hickisch entspann Aebischer die Idee von der Expedition ins Niemandsland. Nur Fotos eines schwedischen Großwildjägers namens Erik Mararv, der am Chinko ein Jagdcamp unterhält, gaben eine Ahnung, welcher Schatz dort verborgen liegt.

“Also fragten wir Erik, ob er an Forschung in seinem Jagdgebiet interessiert ist”, erinnert sich Aebischer. 2011 besuchten die zwei Mararv in Schweden. Der 28-jährige, der sonst nur betuchte Jäger aus Europa und den USA seine Gäste nennt, setzte sie über Risiken und Nebenwirkungen ins Bild und lud sie in die Wildnis ein. Hütten, Transport, Verpflegung – alles stand bereit.

Die beiden 26-jährigen schrieben auf, was das alles kosten würde: Ferngläser, Kamerafallen, Träger, Fährtenleser, Jagdführer für 70 Tage, Flüge, Medikamente, Satellitentelefon und und und. Auf 51.836 Dollar und einen Cent kamen sie. Die Suche nach Sponsoren war frustrierend. Alle winkten ab: vom WWF bis zu den Großkatzenschützern von Panthera. Zu gefährlich, zu aufwendig, mit dem Mini-Etat nicht zu machen, hieß es.

Das Duo liess sich nicht beirren, legte eigenes Geld auf den Tisch, sammelte bei Freunden, Familie und Firmen, kratzte das Geld halbwegs zusammen. Später gelang es, noch 12.000 Euro bei der Basler Stiftung für biologische Forschung loszueisen.

Ziel war es, Großsäugetiere und ihre Habitate am Chinko zu erfassen und Populationsgrößen abzuschätzen. Zwei mal reisten die zwei nach Zentralafrika und blieben je drei Monate, erst von Februar bis April 2012, dann von Dezember 2012 bis Februar 2013.

Als dann die zoologischen Neuigkeiten von den Speicherkarten der Kamerafallen nur so herunterplumpsten wie Elefantenköttel, da sprang auch Panthera in New York auf, und in Washington schickte sich die “National Geographic Society” an, ihren Mann für Afrika in Marsch zu setzen. Der musste dann doch passen, als in der Zentralafrikanischen Republik der jüngste Bürgerkrieg ausbrach.

100 Kamerafallen setzte das Duo ein, über 200.000 Bilder entstanden. Um Wildtiere direkt zu sichten und Spuren zu bestimmen, liefen sie 500 Kilometer Linien-Transekte ab, vorgezeichnete gerade Pfade. Weitere 1.500 Kilometer stapften sie querbeet durch die Wildnis.

Ihre Entdeckungen waren aus zoologischer Sicht spektakulär. Insgesamt wiesen Aebischer und Hickisch 62 mittlere und große Säugetierarten nach, darunter zehn Primatenarten, 23 Huftierarten und 21 Spezies an Raubtieren – vom Löwen bis zum Serval.

Zum Fotoshooting erschienen selbst Arten, die afrikaweit oder regional als ausgerottet galten. Allen voran der Afrikanische Wildhund. In Zentralafrika war er längst ein Phantom. Die Fotonachweise geben neue Hoffnung für die Art, deren Bestand afrikaweit auf nur noch 1.400 Tiere im Fortpflanzungsstadium geschätzt wird.

Das Duo konnte per Kamerafalle auch die Existenz einer Mungoart, der Listigen Manguste, nachweisen, die seit zwanzig Jahren nicht mehr gesichtet worden war. “Arten, die normalerweise weit entfernt voneinander in sehr unterschiedlichen Gegenden leben, kommen in diesem Teil Zentralafrikas gemeinsam vor”, berichtet Aebischer. So gibt es mit dem Sudanbüffel und dem Afrikanischen Waldbüffel sowie dem Wald- und dem Savannenelefanten dort gleich jeweils zwei Unterarten.

In Feldforschung sind Aebischer und Hickisch keine Anfänger. Die beiden kennen sich seit 2005 von einer Forschungsreise nach Costa Rica. Aebischer stammt aus Heitenried im Kanton Freiburg. Aus der 1.300-Seelen-Gemeinde zog es ihn in die Welt, je weiter, desto besser. 2007 lebte er sechs Monate in Kameruns Nki-Boumba-Bek-Nationalpark in einem Dorf und untersuchte für den WWF Kamerun Kothaufen diverser Antilopenarten und die Nester von Gorillas und Schimpansen. Für seine Bachelorarbeit analysierte er 2010 die Vegetation des Kilimanjaro. Sein Studium als Evolutionsbiologe an der Uni Bern hat er diesen Sommer abgeschlossen.

Der Wiener Raffael Hickisch ist eigentlich Informatiker, sattelte auf den Bachelor noch ein Masterstudium in Sozial- und Humanökologie drauf. Seine Abschlussarbeit führte ihn in den Senegal. Dort ging er der Frage nach, wie weit sich Gummibaumplantagen eignen, CO² zu speichern. Zum Chinko verschlug ihn “das Interesse an der Natur, die Neugier und einfach die Idee, so etwas zu versuchen”, berichtet er.

Neben der Forschungslust treibt die zwei die Abenteuerlust an. Die Chinko-Expedition entpuppte sich als das Abenteuer, das sie gesucht hatten, ungeplante Zumutungen inklusive. In der Trockenzeit war es tags bis zu 45 Grad heiß. Das Duo schluckte und impfte alles, was die Tropenmedizin hergab. Aebischer fing sich trotzdem beide Male Malaria tropica ein. In den fünf Jagdcamps konnten sie in Lehm- und Holzhütten schlafen, abseits nur zelten. “Nachts hörten wir Löwen und Hyänen”, sagt Aebischer. “Das Lagerfeuer vorm Zelt durfte nie ausgehen.”

Den Draht zur Welt und untereinander lieferten Satellitentelefone. Abends gaben die beiden den Jägern ihre Standorte durch. Meist waren sie im Busch zu zweit unterwegs. Raffael Hickisch erzählt, “dass schnell Vertrautheit mit der Situation vor Ort entsteht.” Man müsse bloß die Sinne schärfen. Eines Morgens begegneten sie einem Leoparden, der aber schnell die Flucht ergriff, anderntags liefen sie einer Schwarzen Mamba über den Weg, die sich drohend aufrichtete.

Sorgen bereiteten die politische Lage und die Wilderei. Seit Jahren metzeln Wilderer in Zentralafrika Elefanten nieder. Über 90 Prozent der Bestände in der Z.A.R. sind erloschen. Zur Trockenzeit fallen Banden aus dem Sudan auch ins Chinko-Becken ein. Auf den Märkten werden Buschfleisch, Felle, Elfenbein und andere Trophäen zu Geld gemacht. Kein gutes Omen lieferten die Kamerafallen: Auf Pfaden, die Elefanten nutzen, waren Wilderer zu sehen. Denen begegneten die zwei ab und an. “Wir hatten immer Angst, dass sie uns für Militär halten”, so Aebischer.

Während der zweiten Tour der Jungforscher griffen Ende 2012 Rebellen zu den Waffen. Seitdem versinkt das bettelarme Land im Chaos. Im März 2013 haben die Rebellen in der Hauptstadt Bangui die Macht übernommen. Außerhalb der Hauptstadt existiert der Staat praktisch nicht mehr.

Allen Problemen zum Trotz wollen Aebischer, Hickisch und Mararv am Chinko nun 17.600 Quadratkilometer in ein Biosphärenreservat verwandeln. Das Management soll auf eine NGO namens “Chinko Nature Management” übergehen, das Reservat in drei Zonen gesplittet werden: eine menschenleere Kernzone, eine Pufferzone für Patrouillen, rundherum eine Zone für Trophäenjagd und Safaritourismus. “Der Nutzen durch die Jagd ist größer als der Schaden”, meint Aebischer. Mararv beteuert, die Wildbestände laufend zu erfassen und jährlich nur zwei Prozent der Tiere zum Abschuss freizugeben.

Thierry Aebischer hat die Artenvielfalt der urigen Gegend derweil zum Thema seiner Doktorarbeit gemacht. Arbeitstitel: “Evolutive Prozesse und die biologische Vielfalt am Beispiel des heterogenen Wald-Savannen-Mosaiks Zentralafrikas.” Kommenden Januar will er wieder an den Chinko. Ein paar zoologische Fragen sind noch offen.

www.chinkoproject.com

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